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Vorwort
Krankheit Zur
Navigation springen Zur Suche springen Krankheit ist ein Zustand verminderter Leistungsfähigkeit, der
auf Funktionsstörungen von einem oder mehreren Organen,
der Psyche oder des gesamten Organismus beruht und zurückgeht. Diese Störungen werden ihrerseits durch strukturelle
Veränderungen von Zellen und Geweben hervorgerufen.[1][2] Die Lehre von den Krankheiten ist die Pathologie, während die Nosologie sich mit der systematischen Einteilung von Krankheiten beschäftigt.[2] Wortherkunft Das Wort Krankheit, von mittelhochdeutsch krancheit bzw. krankeit,[3] bedeutete ursprünglich vor allem ‚Schwäche‘ und ist abgeleitet von mittelhochdeutsch kranc (mit den Bedeutungen ‚schwach, kraftlos, hinfällig, geschwächt‘
usw.). Zugrunde liegen wohl westgermanisch kranka (‚hinfällig‘; vgl. althochdeutsch chrancholōn: ‚schwach werden, straucheln‘, und angelsächsisch cringan, ‚sich winden, im Kampf niederstürzen,
hinfällig sein‘) und indogermanisch grengh- (‚ringeln‘).[4][5][6] Definition
Krankheit und Gesundheit Krankheit wird oft im Gegensatz zu Gesundheit definiert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat allerdings Gesundheit
auch schon 1946[7] als idealen Zustand optimalen Wohlbefindens definiert. Zudem ist Krankheit
nicht die einzige mögliche Ursache für mangelhafte Gesundheit.[8] Die Übergänge
zwischen „Gesundheit“ und „Krankheit“ sind fließend. Vieles mag letztlich einfach eine Frage der Sichtweise sein, zumal der Ausdruck Krankheit keine biologische Konstante, sondern ein kulturelles wertbezogenes Konstrukt[9] darstellt. So hat sich der Begriff Befindlichkeitsstörung für Einschränkungen des leiblichen oder seelischen Wohlbefindens ohne objektivierbaren medizinischen Krankheitswert eingebürgert. Andererseits
können als krankhaft definierbare Zustände auch ohne subjektiven Leidensdruck vorliegen. Die normale Funktion eines Organismus ergibt sich aus der Regelhaftigkeit
der Lebensvorgänge; in unterschiedlichem Ausmaß beinhaltet sie die Fähigkeit zur Anpassung an veränderte
innere und äußere Bedingungen. Ihre Beurteilung durch Menschen weist auch Abhängigkeit von deren Normvorstellungen auf. Als
Funktionsstörung kann Krankheit verschiedene Bereiche lebendigen Seins betreffen und sich in deren Wechselwirkungen entwickeln. Physiologische
Funktionen sind wesentliche Eigenschaft des Lebens.
Organismen existieren in komplexen Umwelten und erhalten, erneuern und verändern sich durch beständigen stofflichen und energetischen Austausch. Viele Arten von Organismen leben in sozialen
Zusammenhängen. Zu den Funktionen des Lebens gehört auch Verhalten und höherentwickelte Organismen weisen emotionale Funktionen auf. Die Personalität
und Sozialität von Menschen funktioniert auch in Abhängigkeit von ihrer kulturellen Welt. Die Zuordnung von Erkrankungen eines konkreten Lebewesens zu abstrakten „Krankheitskategorien“ gilt als wichtig im Zusammenhang mit der Entwicklung von Ansätzen zur Behandlung und ihren verwaltungsmässigen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Eine zu diesem Zweck entwickelte Systematik ist die Internationale Klassifikation
der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10).[10] Medizin Seit Jahrhunderten ist die Medizin bestrebt, den allgemeinen Krankheitsbegriff eindeutig zu definieren
und abzugrenzen.[11][12]
Dabei hat sie sich mit verschiedenartigen Krankheitsbildern und konkreten Erkrankungen auseinanderzusetzen.[13]
Zur Erkennung von Krankheiten bei individuellen Patienten bedarf es entsprechender Untersuchungen (Diagnostik). Damit werden Befunde
erhoben, welche der Erstellung einer Diagnose dienen können. Hat ein Mensch das Gefühl, „krank“ zu sein, oder ist bei jemandem
eine Krankheit bereits erkannt worden, spricht man in der Medizin von einem Patienten. Einzelne Beschwerden eines Patienten können
Symptome definierbarer Krankheiten sein. Mehrere typischerweise gleichzeitig auftretende Symptome werden als Syndrom (Symptomkomplex) bezeichnet. Symptome oder Symptomenkomplexe, die auf eine gemeinsame Ursache (Ätiologie) zurückführbar sind, lassen die Bestimmung einer spezifischen Krankheit (Morbus) im Sinne der
modernen Medizin zu (siehe Pathogenese). Eindeutig scheint dies, wenn notwendige oder hinreichende Krankheitsursachen feststellbar sind. Für definierte Infektionskrankheiten sind z. B. spezifische Krankheitserreger notwendig; manche angeborene Krankheiten treten zwingend bei bestimmten molekulargenetischen Veränderungen
auf. Oftmals sind Krankheiten aber auch nicht eindeutig auf nachweisbare Ursachen zurückzuführen. Mitunter werden sie dann durch regelhaft vorliegende strukturelle bzw. funktionelle Erscheinungen definiert. Die Gesamtheit aller für eine
Krankheit typischen Erscheinungen ist das Krankheitsbild (Synonym: Entität), das in mehr oder weniger unterschiedlichen Ausformungen beobachtet werden kann. Die Lehre von den Krankheiten ist die Pathologie. Recht Der Umstand, dass die Übergänge zwischen „Gesundheit“ und „Krankheit“ fließend sind, wirft auch juristische
Probleme auf. Der Begriff „Krankheit“ selbst wird inhaltlich heftig diskutiert, insbesondere im sozialversicherungsrechtlichen
Bereich.[14] Krankheit im Sinne des Sozialversicherungsrechts ist eine Störung
des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens, somit eine Abweichung von der Norm „Gesundheit“. (vgl. § 120 Abs. 1 Ziffer 1 ASVG,
wonach Krankheit „ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand ist, der die Krankenbehandlung notwendig macht“.) Der Bundesgerichtshof
(BGH) hat am 21. März 1958 definiert: „Krankheit ist jede Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die geheilt, d. h. beseitigt oder gelindert werden kann.“[15] Nach einer neueren Formulierung des Bundessozialgerichts (BSG) wird im Kranken- und Unfallversicherungswesen unter Krankheit „ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat“ verstanden.[16] Dadurch ist der medizinische Krankheitsbegriff nicht deckungsgleich mit dem sozialrechtlichen. Entscheidende Kriterien für die Beurteilung als Krankheit im Sozialrecht sind: - Behandlungsbedürftigkeit
(nicht bei altersbedingten Erscheinungen; kosmetischen Behandlungen, die rein ästhetischer Natur sind (wie beispielsweise Haartransplantation),
sehr wohl jedoch, wenn eine anerkannte medizinische Notwendigkeit vorliegt (wie beispielsweise Korrektur der Nasenscheidewand oder Behandlung
von Narben))
- Wahrnehmbarkeit nach außen (z. B. Disharmonien der genetischen Werte erfüllen den Sachverhalt
nicht)
- Besserung des Leidens oder Verhütung von Verschlimmerungen (die Behandlung muss nach den Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft erfolgversprechend sein)
Der letzte Punkt kann problematisch für unheilbare Krankheiten
sein, da in solchen Fällen keine Besserung möglich ist. Davon ist im Sozialversicherungsrecht das Gebrechen (§ 154 ASVG) abzugrenzen. Dabei handelt es sich um unbehebbare Leiden, deren Entwicklung abgeschlossen ist und eine Möglichkeit
auf ärztliche Einflussnahme im Sinne einer Heilung, Besserung oder Verhütung von Verschlimmerungen nicht möglich ist. Beschwerden durch Unfälle und deren Folgen werden in der Schweiz aus juristischer Sicht nicht dem Begriff „Krankheit“
zugerechnet.[17] Geschichtliche
und kulturelle Aspekte Mit Beginn der Neuzeit[19] wurde Krankheit zunehmend als Störung des Organismus begriffen.[20] Die Einordnung, das Maß der „Normalität“ überschreitender Veränderungen eines Menschen, hängt stark von der Kultur und der Epoche ab.[21][22] So war Fettleibigkeit (Adipositas) in der Renaissance ein Status-Symbol,
heutzutage wird sie allgemein als krankhaft betrachtet.[23]
Dass bestimmte chemische Elemente die Grundbestandteile von lebenden Organismen sind, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts dann auch Teil eines medizinischen Konzeptes des französischen, an die Entwicklungen in der Chemie seiner Zeit anknüpfenden
Arztes Jean Baptiste Thimotée
Baumes (1756–1828). Nach dessen 1806 publizierten[24] Ansichten reagieren
diese Elemente entsprechend ihrer chemischen Affinität im Körper. Krankheiten seien demnach neben Störungen im Wärmehaushalt und Wasserhaushalt auch solche des Stickstoffhaushalts oder Phosphorhaushalts.[25] Typische Reaktionen bei schwerer Krankheit
Vor allem schwere Krankheit muss nicht nur geistig, sondern auch emotional verarbeitet werden. Für die Auseinandersetzung mit einer Erkrankung gibt es ganz typische Reaktionsweisen:[26] - Rückzug in die kindliche Abhängigkeit: Diese Regression
kann einerseits gut sein und die Energiereserven schonen, andererseits aber auch in übermäßige Forderung von Aufmerksamkeit und Obsorge gipfeln.
- Verleugnung: Die Krankheit wird verleugnet und damit auch ein guter Umgang damit verhindert.
- Rationalisierung und Verschiebung: Die Probleme der Krankheit werden auf andere Ursachen geschoben
und die Krankheit als Ursache verleugnet.
- Angstreaktionen und depressive Reaktionen
Systematik Systematische Einteilung von Krankheiten wird als Nosologie (Krankheitslehre) bezeichnet. Die Bezeichnungen der Krankheiten,
die Abgrenzung einzelner Krankheitsbilder (Entitäten)
gegeneinander und die Systematik der Krankheiten sind ständigem Wandel unterworfen[27][28] (vgl. Liste historischer Krankheitsbezeichnungen). Die moderne Einteilung der Krankheiten im medizinischen Krankheitsmodell kann grob organbezogen nach den Hauptdiagnosegruppen (Major Diagnostic Categories, MDC) erfolgen. Eine genauere Einteilung erlaubt die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10), bzw. für den onkologischen Bereich entsprechend der ICD-O. Eine an den bekannten oder vermuteten Ursachen orientierte Einteilung ist die nach Eigenschaften, die statistisch für sich alleine betrachtet die Rate des Auftretens bestimmter Krankheitsbilder
erhöhen, ohne ihrem Wesen nach für diese alleinig verantwortlich zu sein, werden als sogenannte Risikofaktoren
bezeichnet. Als klassisches Beispiel sei hierzu die positive statistische Korrelation zwischen der Erhöhung des Blutdruckes
und dem Auftreten kardiovasculärer Erkrankungen angeführt. Eine seelisch-körperliche
Betrachtungs- und Heilweise, unter Berücksichtigung der emotionalen und sozialen Ursachen sowie der Persönlichkeit und des Lebensschicksals des Patienten versucht die psychosomatische Medizin. Neben der evidenzbasierten Medizin gibt es auch andere Betrachtungsweisen
zu Krankheitsursachen bis hin zu Theorien über metaphysische und esoterische Zusammenhänge. Mit der gesellschaftlichen Bedingtheit von Erkrankung und Krankheitsverläufen sowie der staatlichen Steuerung des Gesundheitswesens beschäftigt sich die Medizinsoziologie. Ursachen und Verlauf Als Ursachen für Erkrankungen
werden in der modernen Medizin nennenswert abweichende Veränderungen vom gesunden Zustand von Teilen des Körpers betrachtet – und damit auch deren Funktion, sogenannte organpathologische Befunde. Die Ursachen für diese Veränderungen lassen sich in innere und äußere Faktoren einteilen.
Zu den inneren Faktoren gehören das allgemeine Altern, Erbkrankheiten und ererbte Anfälligkeiten/Anlagen, embryonale Fehlbildungen sowie psychische Erkrankungen. Diese sind wenig beeinflussbar. Demgegenüber sind äußere Faktoren, wie
soziale Verhältnisse, Stress, Ernährung, Umweltbedingungen und Krankheitserreger gut beeinflussbar. Krankheit führt – behandelt oder unbehandelt – zu Heilung, Remission, einem Rezidiv (oder mehreren Rezidiven), Leiden oder Tod.
Häufig verwendete Begriffe, die den zeitlichen Verlauf beschreiben, sind: Krankheitsmodell Unter einem Krankheitsmodell versteht man einen wissenschaftstheoretischen Ansatz, mit dem Ziel, in modellhaft vereinfachter Form eine Krankheit zu erklären. Eine Diskussion
um Krankheitsmodelle ist aus der Frage entstanden, welches der objektive Unterschied zwischen normal und anormal, als krankhaft sei. Diese Unterscheidung betrifft meist nicht das Urteil des Kranken selbst, sondern das seiner Umgebung. Es
ist auf den vermeintlich Kranken gerichtet und gibt die Auffassungen der nächsten Angehörigen und des sozialen Umfeldes über Krankheit wieder. Es umfasst somit auch einen soziologischen und epidemiologischen Aspekt, der z. B. in der Medizinsoziologie und in der Sozialpsychiatrie
von Interesse ist. Ein weiterer Ansatz betrifft die Kontroverse zwischen durchgehendem und uneinheitlichem Behandlungsansatz. Der durchgehende Ansatz besagt, dass ein einheitliches gesundheitliches Erklärungsprinzip sowohl für Gesunde als auch Kranke ausreiche. Das uneinheitliche Prinzip besagt, dass für Kranke besondere eigengesetzliche
Prozesse ablaufen, die einer spezialisierten Behandlung je nach Art des festgestellten Falles bedürfen. Die Forderung nach einem einheitlichen Behandlungsprinzip geht auf die Forderung von Ludolf von Krehl zurück, dass der Arzt nicht verschiedene Krankheiten behandeln solle, sondern eher den Kranken als Person im Auge zu halten habe. Dieses Prinzip trägt sehr zur Vermenschlichung der Krankenbehandlung
bei und nimmt dem Kranken das gesellschaftliche Stigma des Abnormen und Unverständlichen.[29]
Literatur - Emanuel Berghoff: Entwicklungsgeschichte des Krankheitsbegriffes. (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Medizin. 1). Wien 1947.
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- Dietrich von Engelhardt: Krankheit, Krankheitsbegriff (Neuzeit). In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte.
de Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 797–803.
- William Heberden (Junior): Commentaries
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- Johannes Kiesel: Was ist krank? Was ist gesund? Zum Diskurs über Prävention und Gesundheitsförderung.
Campus Verlag, Frankfurt 2012, ISBN 978-3-593-39786-3.
- Ingo-Wolf Kittel: Systematische Überlegungen zum Begriff „krank“ … (1981; 2001 ern. sgipt.org)
- Rainer Lutz: Gesundheit und Genuss: Euthyme Grundlagen der Verhaltenstherapie. In: J. Margraf: Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 1, Springer, Berlin 1996, ISBN 3-540-60378-6.
- Karl Eduard Rothschuh: Konzepte der Medizin in Vergangenheit
und Gegenwart. Hippokrates, Stuttgart 1978, ISBN 3-7773-0442-5.
- Hermann Metzke: Lexikon der
historischen Krankheitsbezeichnungen. Degener & Co., Insingen 1995, ISBN 3-7686-1051-9.
- Karl
Eduard Rothschuh (Hrsg.): Was ist Krankheit? Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1975, ISBN
3-534-06021-0.
- Hans Schaefer: Der Krankheitsbegriff. In: Maria Blohmke u. a. (Hrsg.):
Handbuch der Sozialmedizin. Band III, Stuttgart 1976, ISBN 3-432-87651-3.
- Willi Seitz: Verhaltensstörungen.
In: Dieter Rost: Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. 2. Auflage. PVU, Weinheim 2001, ISBN 3-621-27491-X.
- Susan Sontag: Krankheit
als Metapher. Fischer, Frankfurt 1981, ISBN 3-596-23823-4.
Weblinks
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Die Bedeutung der Krankheiten für die Entwicklung der Menschheit. Friedrich Cohen, Bonn 1912, S. 1 f.
- ↑ Hochspringen nach: ab Pschyrembel klinisches Wörterbuch,
Verlag deGruyter, 267. Auflage 2017 (ISBN 978-3-11-049497-6). (Stichwort
Krankheit, online)
- ↑ Wolfgang
Pfeifer et al. (2005): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 8. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN
3-423-32511-9, Seite 727, Eintrag „krank“.
- ↑
Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches
Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Aufl., hrsg. von Walther Mitzka, De Gruyter, Berlin/ New York 1967; Neudruck („21.
unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 400 f.
- ↑ Heinrich Schipperges: Die Kranken im Mittelalter. München 1990, S. 70.
- ↑ Lutz Mackensen: Deutsche Etymologie. Ein Leitfaden durch
die Geschichte des deutschen Wortes. (Bremen 1962) Berlin/Darmstadt/Wien 1966, S. 44.
- ↑ „Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“
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Bauer: Was ist der Mensch? Antwortversuche der medizinischen Anthropologie. (Überarbeitete Version des Eröffnungsvortrags zur Tagung „Was ist der Mensch? Wie der medizinische Fortschritt das Menschenbild verändert“
der Evangelischen Akademie Baden in Bad Herrenalb vom 11. 11. 2011.) In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen 8/9, 2012/2013, ISBN 978-3-86888-077-9, S. 437–453, hier: S. 438–440 (Gesundheit und Krankheit als normative Größen der medizinischen Anthropologie).
- ↑ DIMDI: ICD-10 Homepage (Memento vom 6. März 2010 im
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- ↑ S. Breinersdorf: Versuch über den gegenwärtigen Standpunkt der Theorien der Medizin. Bey Iohann Friedrich Korn der Ältere (Hrsg.), 1804, S. 44, GoogleBooks
- ↑ Wolfgang Gerok, Christoph Huber, Thomas Meinertz, Henning Zeidler: Die innere Medizin. Schattauer Verlag, 2006, ISBN 3-7945-2222-2,
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- ↑ Axel W. Bauer: Brute Facts oder Institutional Facts? Kritische Bemerkungen zum wissenschaftstheoretischen Diskurs um den allgemeinen Krankheitsbegriff. In: Erwägen – Wissen – Ethik. Band
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- ↑ U.
Meyer: Krankheit als leistungsauslösender
Begriff im Sozialversicherungsrecht. (Memento vom 12. November 2011 im Webarchiv archive.is) In: Schweizerische Ärztezeitung. 90, 14, 2009, S. 585–588.
- ↑ BGH, Urteil vom 21. März 1958, Az.: 2 StR 393/57
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- ↑ Schweizer Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, Art. 3 Krankheit, admin.ch; zuletzt eingesehen am 26. April 2009.
- ↑ Carol Gerten-Jackson: The Tuscan General Alessandro del Borro. (Memento vom 11. Oktober 2014 im Internet Archive)
- ↑ Gundolf Keil: „[…] und hat sich ein Ikterus bey Ihme angemeldet“: Krankheitsbegriffe in der Frühen Neuzeit. In: Rudolf Lenz (Hrsg.): 1976–1996:
20 Jahre Forschungsstelle für Personalschriften an der Universität Marburg – 5 Jahre Forschungsstelle für Personalschriften an der Technischen Universität Dresden. Ein Festakt. Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
1997, S. 47–64.
- ↑ Dietrich von Engelhardt (2005), S. 797 f.
- ↑ Traute Marianne Schroeder-Kurth: Die Kulturabhängigkeit von Erkrankung - Krankheit - Kranksein - Gesundheit
(Sickness - Disease - Illness - Health). Probleme global gültiger Definitionen und Konsequenzen für Erwartungen und Behandlung. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. 22, 2003, S. 306–322.
- ↑ Helmut Vogt: Das Bild des Kranken. Die Darstellung äußerer
Veränderungen durch innere Leiden und ihrer Heilmaßnahmen von der Renaissance bis in unsere Zeit. München 1969. (2. Aufl. ebenda 1980)
- ↑ D. W. Haslam, W. P. James: Obesity. In: Lancet. Band 366,
Nr. 9492, 2005, S. 1197–209, doi:10.1016/S0140-6736(05)67483-1, PMID 16198769.
- ↑ Traité Elémentaire
de Nosologie, contenant une classification de toutes les maladies. Montpellier 1806.
- ↑ Wolfgang U. Eckart: Baumer, Jean Baptiste Thimotée.
In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. de Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 155.
- ↑ Walter Bräutigam: Psychosomatische Medizin. Ein kurzgefasstes Lehrbuch. 6. Auflage. Thieme Verlag, 1997, ISBN 3-13-498306-0, S. 245. Kapitel: Psychosomatische Gesichtspunkte bei Schwerkranken
- ↑ Max Höfler: Deutsches Krankheitsnamen-Buch. München 1899. (Neudruck Hildesheim 1970)
- ↑ Hans-Werner
Altmann: Krankheitsnamen als Spiegelbild medizinischer Erkenntnisse. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. 3, 1985, S. 225–241.
- ↑ Rudolf Degkwitz u. a. (Hrsg.): Psychisch krank. S. 442.
Coronavirus
SARS-CoV-2 Zur Navigation springenZur Suche springen
SARS-CoV-2 | 3D-Grafik
des SARS-CoV-2-Virions[1] | Systematik |
| Taxonomische Merkmale |
Genom: | (+)ssRNA linear |
Hülle: | vorhanden | | Wissenschaftlicher
Name | Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (engl.) | Kurzbezeichnung |
SARS-CoV-2 | Links | NCBI Taxonomy: |
2697049 | NCBI Reference: |
LC521925, LC522972,
LC522973, LC522974,
LC522975, LR757995,
LR757996, LR757997,
LR757998, MN908947,
MN938384, MN975262,
MN985325, MN988668,
MN988669, MN988713,
MN994467, MN994468,
MN996527, MN996528,
MN996529, MN996530,
MN996531, MN997409,
MT007544, MT019529,
MT019530, MT019531,
MT019532, MT019533,
MT020781, MT020880,
MT020881, MT027062,
MT027063, MT027064,
MT039873, MT039887,
MT039888, MT039890,
MT044257, MT044258,
MT049951, NC_045512 |
ViralZone (ExPASy, SIB): | 764 (Gattung) |
| | |
| Virus, das aus einer Zelle austritt. | |
Aufnahme von Virionen mit den namensgebenden „Kronen“. [3] |
SARS-CoV-2 (Sars-CoV-2; vormals 2019-nCoV, 2019-novel Corona virus, „neuartiges Coronavirus 2019“ sowie Wuhan-Coronavirus[4])
ist die Bezeichnung eines im Januar 2020 in der chinesischen Stadt Wuhan, Provinz Hubei, neu identifizierten Coronavirus. Das Virus verursacht die Erkrankung namens COVID-19 (oder Covid-19, für Corona virus disease 2019)[5] und ist Auslöser der Coronavirus-Epidemie 2019/2020,
die von der WHO als „gesundheitliche
Notlage von internationaler Tragweite“ eingestuft wurde. In der Öffentlichkeit wird das Virus meist (nach der Virus-Familie) als Coronavirus oder gelegentlich (nach der Krankheit) als Covid-19-Virus bezeichnet.[6] Entdeckungsgeschichte
Im Dezember 2019 wurde in der Stadt Wuhan eine Häufung von schweren Lungenentzündungen
unklarer Ursache festgestellt. Am 30. Dezember 2019 informierte der chinesische Arzt Li Wenliang in einer WeChat-Gruppe
seine Arztkollegen über sieben Patienten, die mit Verdacht auf eine Infektion mit dem SARS-Virus im Zentralkrankenhaus Wuhan behandelt wurden.[7] Die chinesische Seuchenschutzbehörde CCDC (Chinese Center for Disease Control and Prevention) entsandte am 31. Dezember 2019 ein Team in die Stadt.[8] Am selben Tag wurde das China-Büro der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) durch die chinesischen Behörden offiziell darüber informiert, dass im Dezember 2019 in Wuhan mehrere Personen an einer schweren Lungenentzündung erkrankt waren und dass als deren Ursache ein bis dahin uncharakterisierter, infektiöser Erreger vermutet wurde. Bis zum 3. Januar 2020 wurden der WHO insgesamt 44 Erkrankte gemeldet, darunter mehrere Schwerkranke. Da mehrere Erkrankte auf dem örtlichen „Südchinesischen
Markt für Fische und Meeresfrüchte“ (chinesisch 武汉华南海鲜批发市场, Pinyin
Wǔhàn huánán hǎixiān pīfā shìchǎng – „Wuhan Huanan Großhandelsmarkt für Fische
und Meeresfrüchte“) als Verkäufer oder Händler arbeiteten, wurde in diesem Markt der primäre Infektionsort vermutet.[9][10] Am 7. Januar 2020 gab der mit der Virusidentifizierung befasste, leitende chinesische Virologe Xu Jianguo (徐建国)
bekannt, dass es sich bei dem Krankheitserreger um ein bis dahin unbekanntes Coronavirus handle. Dies hätten Untersuchungen von Blutproben und Rachenabstrichen von 15 Erkrankten ergeben. In einer Stellungnahme der WHO am 9. Januar 2020 wurde diese
Erkenntnis bestätigt.[11][12]
Am 13. Januar 2020 wurde die komplette Genomsequenz eines Isolats des neuen Coronavirus in der NCBI-GenBank hinterlegt (GenBank-Nummer MN908947).[13] Nahezu
gleichzeitig wurde ein erstes Nachweisverfahren publiziert.[14][15][16] Benennung Die vom 13. Januar 2020 bis zum 11. Februar
2020 von der WHO verwendete Bezeichnung „2019-nCoV“ galt laut WHO als „vorläufig“.[17] Das erste sequenzierte Virusisolat wurde in der Erstbeschreibung als WH-Human-1 coronavirus (WHCV) bezeichnet (WH = Wuhan) und als Wuhan seafood market pneumonia virus isolate Wuhan-Hu-1 in
die NCBI Taxonomie-Datenbank (die für Virusnamen und -klassifikationen nicht maßgebend ist) aufgenommen. Das Virus wurde dort danach – ebenfalls vorläufig –
als Wuhan seafood market pneumonia virus geführt; als Synonyme wurden 2019-nCoV und Wuhan coronavirus erwähnt.[18] Namensvorschläge, das Virus in Anlehnung an MERS-CoV (Middle East respiratory syndrome
coronavirus) nach dem Ort seiner Erstidentifikation, der Stadt Wuhan, als Wuhan respiratory syndrome coronavirus (WRS-CoV) zu benennen, wurden von der WHO nicht aufgegriffen. Ein von Fachleuten genannter Grund waren Beschwerden in der Vergangenheit,
als Viren ihren Namen nach einzelnen Ländern oder Regionen erhalten hatten[19] (beispielsweise das Marburg-Virus).
Die WHO hatte daher 2015 Empfehlungen herausgegeben, wie neue Krankheitserreger und Erkrankungen zu benennen seien. Eine Benennung nach dem Entdeckungsort wurde dabei explizit für unerwünscht erklärt.[20] In der NCBI Taxonomie-Datenbank aufgeführte Synonyme sind 2019-nCoV, COVID-19, COVID-19 virus, Wuhan coronavirus und Wuhan seafood market
pneumonia virus (Stand 16. Februar 2020).[21] Am 11. Februar 2020 gab die WHO bekannt, die durch das Virus verursachte
Erkrankung als „COVID-19“ bzw. „Covid-19“ (Corona virus disease 2019) benannt zu haben.[5][22] Am selben Tag wurde von der Coronavirus Study Group (CSG) des International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) auf dem Preprint-Server bioRxiv
für das Virus die Bezeichnung SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2) vorgeschlagen.[2]
Dem widersprach eine Woche später eine Gruppe chinesischer Virologen, die stattdessen als Bezeichnung „Humanes Coronavirus 2019“ (human coronavirus 2019, HCoV-19) vorschlug. Als Begründung nannten sie die Ähnlichkeit dieser
Virusbezeichnung mit der Bezeichnung der von der WHO als COVID-19 benannten Krankheit und die Gefahr der Verwechslung von SARS-CoV-2 mit SARS-CoV in der Öffentlichkeit. Sie betonten, dass sich „2019-nCoV“ von dem SARS-Virus in biologischer
und epidemiologischer Hinsicht unterscheidet, ebenso wie die klinischen Symptome von COVID-19 und SARS verschieden sind.[23]
Zur Unterscheidung wird der Erreger von SARS auch als SARS-CoV-1 bezeichnet.[24] Merkmale
Molekulargenetik und Phylogenetik Das Virusgenom besteht, wie in Coronaviren üblich, aus einzelsträngiger
RNA (ssRNA) mit positiver Polarität. Das Isolat Wuhan-Hu-1 (NCBI
GenBank-Nummer MN908947[25]) umfasst 29.903 nt (Nukleotide)
mit zwei 265 nt bzw. 229 nt langen untranslatierten Bereichen am 5′-Ende
bzw. am 3′-Ende.[13] Die putativen (vermuteten)
Gene könnten für zehn Proteine codieren: ein 7096 Aminosäuren
(AS) langes ORF1ab-Polyprotein (Replikase-Komplex), ein 1273 AS langes Oberflächen-Glykoprotein (S für englisch spikes, vergleiche Peplomer), ein 75 AS langes
Hüllprotein (E für engl. envelope, vergleiche Virushülle),
ein 222 AS langes Membran-Glykoprotein (M), ein 419 AS langes Nukleokapsid-Phosphoprotein (N) und weitere fünf Proteine (ORF3a, ORF6, ORF7a, ORF8 und ORF10).[13]
Die Abfolge der Gene entspricht jener des SARS-Virus und der aller Coronaviren.[26]
Mit Stand 16. Februar 2020 gab es mehr als 40 vollständige Genomanalysen von SARS-CoV-2-Isolaten. Die Genomgröße liegt zwischen 29.825 und 29.903 nt.[25]
Der GC-Gehalt (der Anteil der Nukleinbasen Guanin
und Cytosin) liegt bei 38,0 Mol-Prozent.[27][28] Die beiden Virusisolate HKU-SZ-002a (NCBI GenBank-Nummer MN938384[25])
und HKU-SZ-005b (NCBI GenBank-Nummer MN975262[25]) stammen von Patienten einer Familie aus Shenzhen
und unterscheiden sich lediglich durch zwei Nukleotide. Die Genomanalyse dieser beiden Isolate ergab, dass sie nahe verwandt mit den bei Fledermäusen (englisch bat)
auftretenden SARS-ähnlichen Coronaviren bat-SL-CoVZXC21 (NCBI GenBank-Nummer MG772934) und bat-SL-CoVZC45 (NCBI GenBank-Nummer MG772933) sind, zu letzterem besteht eine Übereinstimmung in der Nukleotidabfolge von 89 %. Das Genom der beiden Fledermaus-Coronaviren
wurde 2018 sequenziert, bat-SL-CoVZC45 wurde bei der Chinesischen Hufeisennase
(Rhinolophus sinicus)[29] aus der Familie der Hufeisennasen
(Rhinolophidae) gefunden, die Wirtstiere wurden in Zhoushan in der ostchinesischen Provinz Zhejiang in den Jahren 2015
und 2017 untersucht.[28] Ein weiteres Virusisolat (WIV04, NCBI GenBank-Nummer MN996528[25]) von SARS-CoV-2 aus der bronchoalveolären
Spülflüssigkeit eines der ersten Patienten zeigt ebenfalls phylogenetisch größte Ähnlichkeit mit einem bei einer anderen Fledermausart (Java-Hufeisennase, wissenschaftlich Rhinolophus affinis, englisch
intermediate horseshoe bat, verbreitet in Indonesien (Java), Indien, Vietnam, China)[29] in China
isolierten Coronavirus BatCoV RaTG13, die Genomsequenzen stimmen zu 96,2 % überein.[30][24] Auch eine am 27. Januar 2020 publizierte genetische Analyse verwies auf Fledermäuse als mutmaßlicher
Ursprungswirt des Virus.[31] Am 29. Januar 2020 wurde in der Fachzeitschrift The
Lancet eine genetische Analyse von zehn Virusproben publiziert, die bei neun Erkrankten gewonnen worden waren. Demnach war die Genomsequenz aller zehn Proben zu 99,98 Prozent identisch, was darauf hinweist, dass die neu entdeckte Coronavirusvariante
erst vor Kurzem auf den Menschen übergegangen ist.[32][33][34] Die Genomsequenz
stimmt zu 88 bzw. 87 % Prozent mit den Genomsequenzen der bei Fledermäusen auftretenden bat-SL-CoVZC45 und bat-SL-CoVZXC21 überein. Die zehn Proben zeigen hingegen nur rund 79 Prozent Übereinstimmung in der Genomsequenz zu SARS-CoV und rund 50 Prozent zu MERS-CoV. Die Ergebnisse der phylogenetischen Untersuchungen werden auch
als phylogenetischer Baum veranschaulicht.[28][32] Eine darauf basierende Darstellung ist im Artikel Betacoronavirus
zu finden. Der Aufbau des Genoms sowohl der SARS-CoV-2-Isolate wie auch der genannten Fledermaus-Coronaviren ist typisch für Viren der Lineage B (Untergattung Sarbecovirus,
englisch SARS-like Betacoronavirus) der Gattung Betacoronavirus. Aufgrund der genetischen Distanzen zu SARS-CoV und zu
MERS-CoV wurde SARS-CoV-2 zunächst als eine in Bezug auf den Menschen neue, ihn infizierende Betacoronavirus-Spezies angesehen.[28][32] Aufgrund der großen genetischen Übereinstimmung mit dem ursprünglichen SARS-Coronavirus
hatte am 11. Februar 2020 die Coronavirus Study Group des ICTV jedoch vorgeschlagen, das neue Virus derselben Spezies Severe acute respiratory syndrome-related coronavirus zuzuordnen wie das bisherige.[2] Das S-Protein (S für englisch spikes) ist für die Bindung
an die Wirtszelle verantwortlich, funktionell wird es in die S1-Domäne und die S2-Domäne unterschieden. Die S1-Domäne vermittelt die Bindung an den Oberflächenrezeptor
der Wirtszelle, die S2-Domäne vermittelt die Fusion der Zellmembran, durch Endozytose erfolgt dann der
Eintritt des Virus in die Zelle. Das S-Gen von SARS-CoV-2 zeigt mit 75 % eine eher geringe Übereinstimmung in der Nukleotidsequenz mit den beiden Fledermausisolaten bat-SL-CoVZC45 und bat-SL-CoVZXC21 im Vergleich zur Genomanalyse. Insbesondere die
Nukleotidsequenz, die für die S1-Domäne codiert, unterscheidet sich von diesen deutlich (68 % Übereinstimmung) und weist eine größere Ähnlichkeit mit der entsprechenden Nukleotidsequenz von SARS-CoV auf. Daraus lässt
sich schließen, dass SARS-CoV und das neuartige Coronavirus den gleichen Zellrezeptor nutzen, das Angiotensin-konvertierende Enzym
2 (ACE2).[32] Dies konnte experimentell bewiesen werden, vergleiche Abschnitt
Pathogenese. Morphologie
Querschnitt von SARS-CoV-2 Die in einer Zellkultur über mehrere Tage vermehrten Viren können nach Abtrennung durch
Ultrazentrifugation für die Untersuchung im Transmissionselektronenmikroskop
(TEM) vorbereitet werden, dabei wird eine Negativkontrastierung verwendet. Das TEM-Bild zeigt Virionen
von kugelförmiger bis pleomorpher Gestalt mit einem Durchmesser von 60 bis 140 Nanometer
(nm). Auf der Oberfläche sind 9 bis 12 nm lange Spikes zu erkennen. Die Morphologie
entspricht der anderer bekannter Vertreter der Familie der Coronaviridae. Die Wirtszellen, die im lichtmikroskopischen Bild einen cytopathischen
Effekt aufweisen, können nach Fixierung und anschließendem Ultradünnschnitt (Dicke von 80 nm) ebenfalls mit dem TEM untersucht werden. Hier
zeigen sich neben Virionen auch Einschlusskörperchen, die mit Viren gefüllte membrangebundene
Vesikel im Cytoplasma enthalten.[8] Herkunft Fachleute vermuteten bereits zu Beginn der Epidemie, dass als Hauptwirt
ein anderes Säugetier oder Geflügel infrage komme. Der Übergang
vom Tier auf den Menschen könne jedoch über einen noch nicht identifizierten Zwischenwirt erfolgt sein.[35] Am 28. Februar 2020 gab die Regierung Hongkongs bekannt, erstmals einen Hund positiv auf das Virus getestet zu haben, der im Haushalt
seiner infizierten Halter lebte.[36] Die WHO
bestätigte, die SARS-CoV-2-Proben seien „schwach positiv“[37] getestet worden. Chinesische Forscher verwiesen in diesem Zusammenhang
im Journal of Medical Virology auf Schlangen wie den Vielgebänderten Krait (Bungarus
multicinctus) und die Chinesische Kobra (Naja atra),[38][39] die auf dem Großmarkt neben anderen lebenden Wildtieren (sogenannten „Ye Wei“) wie Fledermäusen oder Kaninchen angeboten werden.[40] Diese Hypothese wurde von anderen Virologen für unwahrscheinlich
erklärt, da es bisher keine Evidenz dafür gäbe, dass Coronaviren auch Reptilien infizieren können. Bisher seien Coronaviren ausschließlich bei Säugetieren und Vögeln gefunden worden.[35] Nachdem in Malaiischen Schuppentieren
(englisch Sunda pangolins) ein Coronavirus mit hoher genetischer Übereinstimmung zum SARS-CoV-2 gefunden wurde, geraten
diese zunehmend in Verdacht, der Ursprung der neuen Epidemie zu sein, zumal diese trotz Verbots in China gehandelt werden.[22][24][41]
Aufgrund der Ähnlichkeit der Bindungsstelle (englisch receptor binding domain, RBD) des Spike-Proteins an den menschlichen
Rezeptor ACE2 gilt inzwischen (Stand 17. Februar 2020) die Java-Hufeisennase (Rhinolophus
affinis), in der das Virus-Isolat BatCoV RaTG13 gefunden wurde, als noch aussichtsreicherer Kandidat für den Ursprung des Virus, auch wenn nicht klar ist, ob die Übertragung direkt erfolgte.[24] Virulenz und Pathogenese Durch das Virus SARS-CoV-2 wird die Krankheit COVID-19
ausgelöst, deren Merkmale im Folgenden beschrieben werden. Risikogruppe Für Beschäftigte, die durch ihre berufliche Tätigkeit mit Infektionserregern in Kontakt kommen können,
gilt in Deutschland die Biostoffverordnung (BioStoffV). Der bei der Bundesanstalt
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) eingerichtete Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) hat SARS-CoV-2
am 19. Februar 2020 vorläufig in die Risikogruppe 3 nach der BioStoffV eingeordnet (zweithöchste Stufe).[42] Grundsätzlich erfolgt die Einstufung in Risikogruppen in den Technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe (TRBA), die von der BAuA veröffentlicht
werden, für Viren ist dies die TRBA 462: Einstufung von Viren in Risikogruppen. Beim Auftreten neuartiger, noch nicht zugeordneter Krankheitserreger erfolgt zunächst eine vorläufige Einstufung durch den ABAS. In der Begründung
wird auf die Ähnlichkeit von SARS-CoV-2 mit dem SARS-CoV-1 hingewiesen, der die SARS-Epidemie 2002/2003 ausgelöst hat und auch die Ähnlichkeit in geringerem Umfang mit dem MERS-CoV
wird erwähnt. Diese beiden Viren wurden ebenfalls der Risikogruppe 3 zugeordnet. Der ABAS nennt die „derzeit fehlenden Möglichkeiten zu Impfprävention und Therapie sowie die großen Verbreitungsmöglichkeit in der Bevölkerung“
als Begründung für die vorläufige Zuordnung zur Risikogruppe 3.[43] Außerdem werden
Empfehlungen zur Arbeit mit dem Virus bei der Diagnostik im Labor gegeben: Nicht gezielte Tätigkeiten (vergleiche § 5
BioStoffV) – ausgehend vom Untersuchungsmaterial, also beispielsweise die Probenvorbereitung, Probenaufbereitung und die Inaktivierung, um den Nachweis mittels RT-PCR (siehe Abschnitt
Nachweismethoden) durchzuführen – können unter den Bedingungen der Schutzstufe 2 durchgeführt werden. Dabei sind alle Tätigkeiten,
bei denen mit Aerosolbildung zu rechnen ist, in einer mikrobiologischen Sicherheitswerkbank der
Klasse II durchzuführen. Außerdem ist die entsprechende persönliche Schutzausrüstung zu tragen. Gezielte
Tätigkeiten nach § 5 BioStoffV dürfen nur in Laboratorien der Schutzstufe 3 durchgeführt werden, dies betrifft z. B. die Vermehrung des Virus in einer Zellkultur.[43] Die US-amerikanische Seuchenkontrollbehörde Centers
for Disease Control and Prevention (CDC) hatte zuvor ähnliche Empfehlungen herausgegeben.[44] Übertragungsweg Am 20. Januar 2020 gab die chinesische Gesundheitskommission bekannt, dass eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung
möglich sei,[4][45]
insbesondere wenn zwei Personen engen Kontakt zueinander haben (weniger als 1,8 m Abstand[46] bzw. weniger als 1 – 2
m Abstand[12]). Es wird angenommen, dass sich das Virus wie andere Erreger von Atemwegserkrankungen durch Tröpfcheninfektion verbreitet.[43][46][12] Das Virus wurde bisher
im Sekret des Nasen- und Rachenraumes, im Sputum, dem Stuhl, der Tränenflüssigkeit und dem Blut nachgewiesen.[28][47][48]
Forscher aus Singapur empfehlen aufgrund des Virusnachweises im Stuhl und dem Nachweis von infektionsfähigen SARS-CoV-Viren im Abwasser von zwei chinesischen Krankenhäusern während der SARS-Pandemie
2002/2003 den Stuhl der Patienten als infektiös zu behandeln. Um die Möglichkeit eines fäkal-oralen Infektionswegs neben Tröpfchen- und Aerosolen auszuschliessen seien weitere Untersuchungen sowohl der Virusausscheidung der Patienten
als auch der potentiell kontaminierten Umwelt notwendig.[49] Chinesische Forscher schließen aufgrund von quantitativen Analysen von
RT-PCR-Untersuchungen des Nasenrachenraums, dass das Virus wie Influenza auch durch Aerosole übertragbar ist.[50][42]
Bei 17 untersuchten Patienten mit Krankheitssymptomen war die Viruslast in der Nase höher als im Rachen, das Auftreten gerade in den oberen Atemwegen unterscheidet SARS-CoV-2 damit
von dem SARS-verursachenden Virus.[50] Ob eine Übertragung auch durch das Berühren kontaminierter Oberflächen und Gegenstände stattfindet, ist unklar.[46]
Eine Auswertung von 22 Studien, die sich mit der Persistenz von medizinisch relevanten Coronaviren (wie SARS-CoV und MERS-CoV) auf Oberflächen beschäftigen,
zeigt, dass diese Viren bei Raumtemperatur bis zu neun Tage lang auf Oberflächen aus Metall, Glas oder Plastik überdauern können. Durchschnittlich bleiben sie vier bis fünf Tage infektiös. Allerdings werden sie durch geeignete Desinfektionsmittel inaktiviert (vergleiche Abschnitt
Hygienemaßnahmen). Nach Aussage der beteiligten Wissenschaftler sollten diese Erkenntnisse auf SARS-CoV-2 übertragbar sein.[51][52] In einer Studie mit neun Patientinnen, die im letzten Schwangerschaftsdrittel eine SARS-Cov2-Infektion erlitten hatten, zeigten sich nach der Geburt per Kaiserschnitt
alle neun Kinder virusfrei. Daraus schlossen die Studienautoren, dass eine Übertragung des Virus im Mutterleib nicht stattfinde.[53]
Die chinesischen Gesundheitsbehörden erfassten bis zum 6. Februar 2020 nur neun Säuglinge, bei denen ein positiver Virusnachweis erbracht wurde. Die Studienautoren
zogen als mögliche Ursache dieser geringen Zahl eine mögliche hohe Zahl von Verläufen mit geringen Symptomen unter Kindern wie auch ein Defizit des Meldesystems in Betracht.[54]
Basisreproduktionszahl Die Auswertung der Daten der ersten 425 Fälle in Wuhan ergab eine Basisreproduktionszahl
von 2,2,[55] was bedeutet, dass jeder Infizierte im Durchschnitt 2,2 andere Personen angesteckt hatte. Eine
Modellrechnung mit chinesischen und ausländischen Patientendaten vom 31. Dezember 2019 bis zum 28. Januar 2020 ergab einen Wert von 2,68.[56]
Im Vergleich hierzu wurde für SARS eine Basisreproduktionsrate von 2,3 bis 2,6 berechnet.[57]
Eine vergleichende Auswertung von 12 Studien, die bis zum 7. Februar 2020 veröffentlicht wurden, kommt zu dem Ergebnis, dass die Basisreproduktionszahl höher liegt, als bisher von der WHO angenommen, deren Schätzung bei 1,4 bis 2,5 liegt.[45] Die Wissenschaftler aus Schweden, China und Deutschland ermitteln, dass die Basisreproduktionszahl
im Mittel bei 3,28, im Median bei 2,79 liegt und somit höher als der Wert bei SARS ist, den sie mit 2 bis 5 angeben.[58] Anteil bestimmter Bevölkerungsgruppen Eine Mitte Februar 2020 veröffentliche Auswertung der englischsprachigen und chinesischen Fachartikel kommt zu dem Ergebnis, dass alle Bevölkerungsgruppen infiziert werden
können. Von den Infizierten waren 72 % 40 Jahre alt oder älter, 64 % waren männlich. 40 % der Patienten hatten chronische Erkrankungen wie
Diabetes mellitus und Bluthochdruck.[45] Dies bestätigt der Bericht der von der WHO in China durchgeführten gemeinschaftlichen Mission (engl. WHO-China
joint mission), der weiterhin noch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen
und Krebs nennt.[59] Außerdem
haben Personen über 60 Jahre ein höheres Risiko, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden.[59] Die chinesische
Seuchenschutzbehörde CCDC hat alle bis zum 11. Februar 2020 vorliegenden Daten zu COVID-19-Krankheitsfällen in China ausgewertet und auch international publiziert. Bei den 44.672 bestätigten Fällen ergibt sich die folgende Altersgruppenverteilung:
3 % 80 Jahre und älter, 87 % 30–79 Jahre, 8 % 20–29 Jahre, 1 % 10–19 Jahre und 1 % jünger als 10 Jahre. Bei den infizierten Personen im Alter von 70 bis 79 Jahren und noch stärker bei den Personen,
die 80 Jahre und älter sind, ist die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 zu versterben, höher als der Durchschnitt.[60]
Anteil schwerer Verläufe und Sterblichkeit Die WHO
gab mit ihrem Situation Report – 18 vom 7. Februar 2020 beispielsweise für China bei 31.211 bestätigt infizierten Personen 4.821 Patienten (15,4 %) mit schweren Krankheitsverläufen bekannt.[61] Genaue Angaben der Sterblichkeit sind im Moment jedoch nicht möglich.
Aufgrund bisher noch unbekannter weniger symptomatischer Fälle kann die Letalität einerseits geringer ausfallen. Auf der anderen Seite können die Patienten, die noch nicht genesen sind, noch versterben und damit kann die Letalität höher
ausfallen. Auch für den Anteil der schweren Verläufe gilt dies. Bei Diagnosestellung muss noch nicht bekannt sein, ob der Patient schwer erkrankt oder sogar stirbt. Im Folgenden
werden einige Studien zitiert, die Hinweise auf die Letalität geben. Eine von der WHO zitierte[62] Studie von Mike Famulare,
Institute for Disease Modeling, schätzt die tatsächliche Sterblichkeitsrate für COVID-19-Infizierte, sprich die statistische Wahrscheinlichkeit, dass eine infizierte Person unabhängig von individuellen Merkmalen stirbt, als zwischen
0,4 und 2,6 % ein, wobei der wahrscheinlichste Wert mit 0,94 % angegeben wird.[63] Bei einer
epidemiologischen Betrachtung von 99 hospitalisierten Fällen waren bis zum 25. Januar 2020 11 % gestorben, 31 % entlassen und 58 %
noch im Krankenhaus.[64] Diese Studie ist ein erster Hinweis darauf, dass
die Letalität hospitalisierter Patienten bei ca. 11 % liegt. In einer am 2. Februar 2020 vorab veröffentlichten Studie wurde die Letalität der
bestätigten Fälle geschätzt. Hierbei wurde sowohl die Zeit zwischen dem Einsetzen der ersten Krankheitszeichen und der Diagnosestellung (5,1 Tage, 95 % KI:
3,5-7,5) als auch die Zeit zwischen dem Einsetzen der ersten Krankheitszeichen und dem Tod (15,2 Tage, 95 % KI: 13,1-17,7) berücksichtigt. Im 1. Szenario wurde die Epidemie auf Grundlage des Indexpatienten vom 8. Dezember 2019 kalkuliert
und eine Letalität von 4,6 % (95 % KI: 3,1-6,6) berechnet. Im 2. Szenario wurde anhand der in andere Länder exportierten Fälle eine Epidemie simuliert und eine Letalität von 7,7 % (95 % KI: 4,9-11,3 %) ermittelt.
Die Autoren weisen darauf hin, dass die tatsächliche Letalität durch nicht diagnostizierte Fälle entsprechend niedriger ausfallen könne.[65]
Eine Fallstudie aus einem Krankenhaus in Wuhan beschreibt 138 Patienten mit radiologisch und virologisch
gesicherter Pneumonie durch SARS-CoV-2 vom 1. Januar bis zum 2. Februar 2020. Rund ein Viertel dieser Patienten musste intensivmedizinisch
behandelt werden. Der häufigste Grund für die Intensivtherapie war ein akutes Atemnotsyndrom, welches
in rund der Hälfte der Fälle eine invasive Beatmung notwendig machte. Die Intensivpatienten waren mit im Median
66 Jahren signifikant älter als der Rest der Patienten mit im Median 51 Jahren. Zum Studienendpunkt waren rund 65 % der Patienten noch im Krankenhaus. Unter den Patienten befanden sich 40 Krankenhausmitarbeiter, die sich bei der Arbeit
angesteckt hatten, sowie 17 Patienten des Krankenhauses, die in der Einrichtung angesteckt wurden. Die Mehrheit der Patienten erhielt Oseltamivir und Antibiotika. 4,3 % der Patienten verstarben bis zum Studienendpunkt. Rund die Hälfte erhielt Kortikosteroide.
Die Studienautoren beschrieben diese antivirale Therapie aus ihrer Beobachtung als nicht effektiv.[66]
Die von der WHO in China durchgeführte gemeinschaftliche Mission (engl. WHO-China joint mission) hat dazu Daten aus Wuhan und anderen Regionen ermittelt und kommt am 24. Februar 2020 zu dem Schluss, dass in Wuhan 2 – 4 %
der Infizierten verstarben, in den anderen chinesischen Regionen 0,7 %.[67] Inkubationszeit Die Inkubationszeit kann laut Informationen des Robert
Koch-Instituts (RKI) bis zu 14 Tage betragen.[12] Darüber hinaus gibt es Berichte chinesischer Forscher, welche die
mögliche Inkubationszeit auf bis zu 24 Tage ausdehnen.[68] Eine Analyse der ersten 425 in Wuhan gemeldeten
Fälle ergibt eine Inkubationszeit von im Mittel 5,2 Tagen und ein Durchschnittsalter von 59 Jahren. Die Autoren gehen davon aus, dass bereits Mitte Dezember 2019 im Umfeld des Fischmarktes Übertragungen von Mensch zu Mensch stattfanden.[55] Eine statistische Auswertung mehrerer Berichte von Infektionen in einem Haushalt oder in anderer enger räumlicher Begrenzung (sogenannte
Cluster) ergibt eine Inkubationszeit von im Median 5 – 6 Tagen.[69]
Eine Ansteckung anderer Menschen während der Inkubationszeit ist trotz beschwerdefreien Gesundheitszustands möglich. Tests auf die Viruslast im Blut bei einzelnen Patienten
legen den Verdacht nahe, dass manche Patienten auch während der Ausheilung bei klinischer Besserung weiterhin vorübergehend infektiös sein können.[70]
Der Bericht dieser Publikation, welcher auf der Annahme einer asymptomatischen chinesischen Indexpatientin beruhen, wurde durch die Recherche der Fachzeitschrift Science widerlegt
und vom RKI in Zweifel gezogen.[71] In einer Gruppe von 126 aus Wuhan nach Deutschland
Evakuierten zeigten sich zwei Patienten in der RT-PCR des Rachenabstrichs positiv, welche keine oder nur sehr unspezifische Beschwerden aufwiesen.[72]
Ebenso ist ein Fall eines subjektiv asymptomatischen zehnjährigen Jungen in Shenzhen beschrieben, dessen Blutbild und Entzündungszeichen im Labor unauffällig waren. In der
weiteren Untersuchung zeigten sich jedoch radiologische Befunde vereinbar mit einer Pneumonie, und im Rachenabstrich ließ sich Virus-RNA nachweisen.[28]
Darüber hinaus existiert ein weiterer Fallbericht aus Guangzhou von zwei asymptomatisch Infizierten mit Virusnachweis im Nasenrachenraum. Die Autoren wiesen explizit auf die Verbreitungsgefahr
des Virus durch beschwerdefreie Patienten in frühen Infektionsstadien hin.[73] Messungen der Viruslast im Sekret des Nasenrachenraums ergeben
eine ähnlich hohe Viruslast zwischen beschwerdefreien und symptomatisch kranken Patienten.[50] Aufgrund
von quantitativen Virusuntersuchungen im Sekret des Nasenrachenraums bei Patienten mit sehr leichten Symptomen schlossen die Forscher der Virologie
der Charité und des Instituts
für Mikrobiologie der Bundeswehr, dass auch bereits bei sehr milden Erkrankungssymptomen eine hohe Infektionsfähigkeit besteht.[74][22] Auch das Robert Koch-Institut berichtet über einzelne Fälle, bei denen sich Betroffene
möglicherweise bei infizierten Personen angesteckt haben, die noch keine oder keine spezifischen Symptome gezeigt hatten.[12]
Zum gleichen Ergebnis kommt eine chinesische Fallstudie, die sechs Patienten einer Familie betrachtet. Patientin 1 hat ihre fünf Verwandten mit SARS-CoV-2 angesteckt, ohne selbst Symptome zu zeigen. Wegen der Krankheitsfälle in der Familie wurde
auch sie isoliert und ärztlich überwacht. Der Virusnachweis durch RT-PCR bei ihr war nach 17 Tagen negativ, nach 19 Tagen positiv und nach 25 bzw. 30 Tagen wieder negativ.[68]
Es sind mehrere Patienten nachgewiesen, die nach klinischer Ausheilung und negativer PCR-Testung erneut eine nachweisbare Viruslast entwickelten. Ob es sich um eine Wiederinfektion oder eine Reaktivierung des Virus handelt ist unklar.[75] Eine Reinfektion bei den speziell aus Japan berichteten Fällen wird von führenden Virologen mittlerweile stark bezweifelt.[76] Pathogenese Das Virus dringt wie bei SARS über den ACE2-Rezeptor
in die menschliche Zelle ein.[30] Im Versuch mit HeLa-Zellen,
die ACE2 des Menschen, der Chinesischen Hufeisennase (Rhinolophus sinicus), einer Schleichkatzenart (engl. civet), des Hausschweins
und der Maus exprimieren, konnte SARS-CoV-2 das jeweilige ACE2-Protein als Rezeptor nutzen, um in die
Zelle einzudringen, nur bei dem Maus-ACE2 gelang dies nicht, ebenso wenig bei HeLa-Zellen, die kein ACE2 bildeten. An Rezeptoren, die von anderen Coronaviren genutzt werden, findet keine Bindung von SARS-CoV-2 statt.[30] In einem Informationsblatt des deutschen Außenministeriums
wird erwähnt, dass aus China Berichte „von Infektionsketten über die 4. Generationen hinaus“ vorliegen.[77] Klinische Erscheinungen Klinische
und laborchemische Krankheitszeichen Schematische Darstellung der gängigen Krankheitssymptome verursacht durch das SARS-CoV2 (Beschriftung in
englischer Sprache) Da dieser Virustyp erst im Januar 2020 nachgewiesen wurde, ändern sich die Erkenntnisse über die Krankheit möglicherweise noch. Eine Abgrenzung zu anderen Viruserkrankungen wie Influenza ist schwierig. Nach einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen[12] können Fieber, Muskelschmerzen und
trockener Husten auftreten. Häufig manifestiert sich die Krankheit auch mit allgemeinem, schwerem Krankheitsgefühl und auch Rückenschmerzen.[28] Symptome der oberen Atemwege, wie Husten, Schnupfen,
Halskratzen, sind möglich, einige Betroffene leiden auch an Durchfall.[12]
Im weiteren Verlauf kann sich eine schwere Atemnot aufgrund einer Infektion der unteren Atemwege bis zur Lungenentzündung entwickeln.[78] Diese kann mit Brustschmerzen im Sinne einer Pleuritis einhergehen.
Die Mehrheit der Patienten zeigte die für schwere Virusinfekte typische Kombination aus einer Verminderung der Anzahl der gesamten weißen Blutzellen, einer Verminderung der
Lymphozyten-Anzahl und einer Erhöhung laborchemischer Entzündungsparameter (wie CRP
und BSG). Bildgebend zeigten sich in der Computertomographie
der Lunge beidseitige, milchglasartige Verschattungen als Zeichen einer Bronchopneumonie.[78]
Die Mehrheit der Krankenhauseinweisungen der ersten Patienten erfolgte nach rund einwöchiger symptomatischer Krankheit aufgrund einer Verschlechterung des Zustandes. In den Fällen, in denen eine intensivmedizinische
Behandlung notwendig wurde, ergab sich deren Notwendigkeit nach rund zehn Tagen nach Symptombeginn.[78]
In einer epidemiologischen Studie von 99 hospitalisierten Fällen fanden bei 13 Patienten eine nicht-invasive Beatmung, bei vier Patienten eine invasive
Beatmung, bei neun Patienten eine Dialyse aufgrund eines Nierenversagens
und bei drei Patienten eine extrakorporale Lungenunterstützung (ECMO) Anwendung.[64]
Im Bericht der chinesischen Seuchenschutzbehörde CCDC erfolgt die Klassifizierung als leichter Krankheitsverlauf, wenn keine oder nur eine leichte Lungenentzündung vorliegt, für einen schweren Krankheitsverlauf sind Pneumonie (Lungenentzündung),
Dyspnoe (Atemnot), eine Atemfrequenz von ≥ 30 Atemzüge pro Minute, eine Sauerstoffsättigung des Blutes ≤ 93 % und weitere klinische Anzeichen typisch, bei einem kritischen Krankheitsverlauf ist mit Atemversagen,
septischem Schock und/oder Multiorganversagen zu rechnen.[60]
Ein wesentlicher Unterschied zum SARS-Coronavirus ist der, dass Patienten schon einige Tage vor Einsetzen der Krankheitssymptome infektiös sein können (beim SARS-Coronavirus waren die Patienten hingegen erst nach Auftreten der Symptome infektiös).
Die Infektion lässt sich daher schwerer erkennen und schwieriger eindämmen. Bei Quarantänemaßnahmen reicht es deswegen nicht aus, nur die klinisch auffälligen
Personen zu isolieren.[34] Krankheitsverlauf
bzw. Dauer der Erkrankung Die Auswertung von 44.415 Fällen durch die CCDC zeigt bei 81 % der bestätigten Fälle einen leichten, bei 14 % einen schweren und bei 5 % einen kritischen Krankheitsverlauf.[60] Bei einem leichten Krankheitsverlauf (dem häufigsten Fall) klingen die Krankheitszeichen, sofern überhaupt
welche bestehen, laut WHO in der Regel innerhalb von zwei Wochen ab.[67]
Bei Menschen mit einem schweren Krankheitsverlauf dauere es zwischen drei und sechs Wochen, bis sie sich von der Krankheit erholen.[67]
Nachweismethoden Vorgehensweise bei der Diagnostik Das Virus ist mittels RT-PCR (Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion) im Sputum, im Trachealsekret, in der bronchoalveolären Spülflüssigkeit und im Nasenrachen-Abstrich direkt nachzuweisen. Die Laboruntersuchung führt in Deutschland das Konsiliarlabor
für Coronaviren an der Charité in Berlin durch, mittlerweile sind mehr als 20 Labore in Deutschland dazu in der Lage.[79] Diese Untersuchung wird durch das Robert Koch-Institut (RKI) nach zwei Kriterien empfohlen
(die Falldefinitionen wurden am 14. Februar 2020 geändert, auf der Website des RKI ist ein Flussschema zur Verdachtsabklärung zu finden):[80] - für Personen mit unspezifischen Allgemeinsymptomen oder akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere und Kontakt
zu einem bestätigtem COVID-19-Fall bis maximal 14 Tage vor Erkrankungsbeginn
und / oder - für Personen mit akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere mit oder ohne Fieber und Aufenthalt in Risikogebieten bis maximal
14 Tage vor Erkrankungsbeginn (die Risikogebiete werden auf der RKI-Website genannt und aktualisiert, vergleiche Abschnitt Weblinks)
Diese Personengruppen werden vom RKI als begründeter
Verdachtsfall eingestuft.[80] Vor dem 14. Februar beinhaltete die Falldefinition Personen mit Verdacht
auf Pneumonie und Aufenthalt im Risikogebiet bzw. Kontaktpersonen.[81]
Das RKI weist darauf hin, dass Ärzte SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 in ihre Differentialdiagnose einbeziehen sollen, wenn sich der Patient zuvor in Regionen mit einzelnen
Infektions-Clustern (diese gelten nicht als Risikogebiete) aufgehalten hat oder Kontakt zu bisher unbestätigten COVID-19-Fällen bestand (beide Kriterien bis maximal 14 Tage vor Erkrankungsbeginn) oder wenn er Symptome einer durch Viren verursachten
Pneumonie unklarer Ursache zeigt. In diesen Fällen sollte beim Auftreten von Atemwegsinfektionen eine ambulante Diagnostik erfolgen und der Patient bis zum Vorliegen der Testergebnisse als Kontaktperson eingestuft werden, vergleiche Abschnitt
Management von Kontaktpersonen.[80][82] (Stand: 1. März 2020) Bis zur Entwicklung eines indirekten Nachweises (Antikörpernachweis)[34][83]
soll das Blutserum betroffener Personen aufbewahrt werden.[80]
(Stand: 1. März 2020) Der begründete Verdachtsfall wird dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet und zusammen mit diesem entschieden, ob eine
ambulante oder eine stationäre Versorgung möglich ist, je
nach Schwere der Erkrankung. Bei einer stationären Einweisung wird der RT-PCR-Test durchgeführt. Bei positivem Befund wird
das zuständige Gesundheitsamt informiert, dass nun ein laborbestätigter COVID-19-Fall vorliegt, und stationär wird mit der Therapie begonnen.[80]
Ist der Befund zwar negativ, besteht aber ein anhaltend hoher Verdacht auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus, empfiehlt das Robert Koch-Institut, die Diagnostik zu wiederholen. Bei erneut negativem Befund gilt die COVID-19-Infektion als ausgeschlossen.
Lässt sich die Diagnostik von vornherein nicht durchführen, muss erneut mit dem Konsiliarlaboratorium Rücksprache gehalten werden.[84]
Auch bei einem zunächst ambulant versorgten begründeten Verdachtsfall erfolgt die ambulante Diagnostik, bei positivem Ergebnis liegt hier ebenfalls ein laborbestätigter COVID-19-Fall vor, der dem Gesundheitsamt zu melden ist.[80] Radiologen aus Changsha berichteten
aus einer Fallserie von 167 Patienten über fünf Patienten, bei denen zum Zeitpunkt einer durch Computertomographie gesicherten Lungenentzündung die RT-PCR
für das Virus negativ ausfiel und der Virusnachweis erst nach mehrmaligen Tests im Verlauf der Erkrankung gelang.[85]
RT-PCR Die Nachweismethode der Charité ist die real-time
quantitative Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion (abgekürzt als qRT-PCR oder RT-qPCR). Sie basiert auf der Detektion von zwei Nukleotidsequenzen, bezeichnet
als E Gen und RdRp Gen. Das erste Gen codiert für die Virushülle
(E für engl. envelope ‚Hülle‘), das zweite Gen für die RNA-abhängige RNA-Polymerase (RdRP für
engl. RNA-dependent RNA polymerase). Für das Primerdesign wurden das SARS-assoziierte
Coronavirus und weitere, bei Fledermausarten vorkommende SARS-assoziierte Coronaviren (SARS-CoV) verwendet. Die erste Version des real-time RT-PCR-Assays
ist erstellt worden, bevor die Genomsequenz von SARS-CoV-2 veröffentlicht wurde. Nach deren Veröffentlichung wurden die Primer ausgewählt, die auch für den Nachweis von SARS-CoV-2
geeignet sind. Das erste Assay (E Gen) dient als Screening, da es mehrere Virusspezies der Untergattung Sarbecovirus
(aus der Gattung Betacoronavirus) nachweist. Verläuft diese Untersuchung
positiv, so ist ein Bestätigungs-Assay (RdRp Gen) durchzuführen. Falls auch hier ein positives Ergebnis erhalten wird, schließt sich als drittes ein Charakterisierungs-Assay an (ebenfalls RdRp Gen). Die letzten beiden Assays
verwenden eine Gensonde, die für SARS-CoV-2 spezifisch ist, beim zweiten Assay ist zusätzlich eine Sonde enthalten, die zur Nukleotidsequenz sowohl des RNA-Teilstücks des
SARS-CoV als auch des SARS-CoV-2 passt.[16][86]
Die molekularbiologische Nachweismethode, die im Konsiliarlabor an der Charité verwendet wird, wurde schnell und effektiv entwickelt, eine erste Version war bereits
am 13. Januar 2020 verfügbar. Dazu haben chinesische Wissenschaftler bereitwillig unveröffentlichte Befunde beigetragen. Von internationalen Forschungsnetzen kamen grundlegende Daten, und die globale Sektion des Europäischen Virus-Archivs (European
Virus Archive – Global, EVAg) lieferte notwendige Produkte (SARS-CoV RNA und RNA-Transkripte) für die Assays.[86] Auch weitere Gruppen von Wissenschaftlern haben ihre entwickelten Methoden veröffentlicht. Dabei handelt es sich um PCR-Protokolle oder Auflistungen geeigneter Primer
und deren für die RT-PCR verwendete Stoffmengenkonzentration, beispielsweise von den Centers
for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA, den CDC in China oder der Universität Hongkong. Sie unterscheiden sich darin, welche Gene
der Virus-RNA nachgewiesen werden.[87] Für die Durchführung der qRT-PCR werden 90 Minuten bis drei Stunden
benötigt.[88] Anstelle der real-time quantitative-Variante können die Produkte der Reverse-Transkriptase-PCR auch mittels Agarose-Gelelektrophorese nachgewiesen
werden.[28] Weitere Methoden Genomanalyse Laboratorien mit Ausstattung für eine Genomanalyse (DNA-Sequenzierung des Genoms)
können SARS-CoV-2 auch auf diese Weise identifizieren.[89] Vollständige Genomanalysen von SARS-CoV-2-Isolaten
zum Vergleich sind beispielsweise in der Gendatenbank des National Center for Biotechnology Information (NCBI) oder
über die GISAID Plattform[90]
verfügbar (vergleiche Abschnitt Molekulargenetik). Nukleinsäurenachweise Testsystem der CDC
zum Labornachweis des Virus. Nach Aussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist ein vereinfachtes molekularbiologisches Verfahren, die Nucleic
Acid Amplification Technology (NAAT) in der Entwicklung, die Assays dafür werden momentan validiert (Stand: 17. Januar 2020). Die NAAT-Methode beruht ebenfalls auf der RT-PCR, das
fertig zusammengestellte Assay bietet jedoch den Vorteil, einfacher in der Handhabung zu sein und ließe sich von entsprechend ausgestatteten Routine-Laboratorien verwenden.[89]
Am 5. Februar 2020 gab die US-amerikanische Behörde CDC bekannt, ein derartiges Assay (test kit) für die Anwendung in akkreditierten
Diagnoselaboratorien zur Verfügung zu stellen. Das Assay wird als Centers for Disease Control and Prevention (CDC) 2019-Novel Coronavirus (2019-nCoV) Real-Time Reverse Transcriptase (RT)-PCR Diagnostic Panel bezeichnet und ist für den Nachweis
sowohl des neuartigen Coronavirus wie auch SARS-ähnlicher Coronaviren in Proben der oberen und unteren Atemwege von Patienten vorgesehen. Zuvor erfolgte eine beschleunigte
Zulassung durch die Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA), somit darf das Assay auch außerhalb von Forschungseinrichtungen
verwendet werden.[91] Ein Testkit ermöglicht die Untersuchung von 700 – 800 Proben, 100 dieser Packungen gehen an US-amerikanische
Labore, weitere 100 an internationale Laboratorien, die beispielsweise im Auftrag der WHO Untersuchungen durchführen.[92]
Die Untersuchung dauert von der Probevorbereitung bis zum Vorliegen der Ergebnisse etwa vier Stunden.[88]
Schnelltests Ende Januar 2020 hatte Xinhua, die Nachrichtenagentur
der Regierung der Volksrepublik China gemeldet, dass die chinesische Behörde National Medical Products Administration (NMPA) am 26. Januar vier Testkits eines neuen Testverfahrens zugelassen habe. Das Assay
ist von dem Biotechnologieunternehmen Sansure Biotech aus Changsha entwickelt worden. Mit Hilfe
der dafür geeigneten Laborautomatisierung sollen Testergebnisse bereits nach 30 Minuten vorliegen.[88][93] Die staatliche Nachrichtenagentur teilte weiterhin mit, dass eine in Wuxi
in der östlichen Provinz Jiangsu ansässige Firma in Zusammenarbeit mit dem National Institute for Viral Disease Control and Prevention eine Schnellmethode entwickelt habe.
Mit dem Testkit soll das Virus innerhalb von 8 – 15 Minuten nachgewiesen werden, die Firma könne täglich so viele Testkits produzieren, dass damit die Untersuchung von 4.000 Proben möglich sei und das Verfahren soll bereits in der Provinz
Hubei eingesetzt worden sein.[94] Die Xinhua-Meldungen enthalten keinen Hinweis auf die dabei verwendeten
molekularbiologischen Methoden. Weiterhin wird an der chinesischen Tianjin-Universität in Zusammenarbeit mit einer Pekinger Biotechnologiefirma ein Schnellverfahren
entwickelt, bei dem nach 15 Minuten Resultate vorliegen sollen. Es befindet sich im Probeeinsatz (Stand Februar 2020).[88]
Forscher der Hong Kong University of Science and Technology meldeten Anfang Februar 2020 die Entwicklung
eines tragbaren Gerätes, mit dem das neuartige Coronavirus innerhalb von 40 Minuten nachweisbar sein soll. Für das im Vergleich zur herkömmlichen qRT-PCR schnellere Verfahren werden modifizierte Chip-Thermocycler
verwendet.[88] Auch Forscher des Institute for Health Innovation & Technology (iHealthtech) an der National University of Singapore berichteten im Februar 2020 darüber, eine Schnellmethode zu entwickeln. Sie basiert auf der seit 2018
verwendeten enVision-Technologie, mit der Nukleinsäuren innerhalb von 30 bis 60 Minuten nachgewiesen werden. Es wird geschätzt, dass bis zur Marktreife
des neuen Testverfahrens noch mehrere Monate benötigt werden.[95] Das Biotechnologieunternehmen Qiagen N.V. entwickelte am Standort in Hilden ebenfalls einen Schnelltest, der auf einem bereits international für die Diagnostik von Krankheitserregern zugelassenen Verfahren basiert, mit dem sich u. a. SARS-assoziierte Viren und EHEC
nachweisen lassen.[96] Das Verfahren wurde um den Nachweis der im SARS-CoV-2-Genom vorhandenen Gene ORF1b und E erweitert
und die Ergebnisse wurden mit denen der RT-PCR-Methode verglichen.[97] Das Unternehmen arbeitet mit der WHO
zusammen, um eine Validierung zu erreichen.[96]
Das tragbare Diagnosegerät ist für den Einsatz in Arztpraxen oder an Flughäfen geeignet. Als Probenmaterial ist ein Abstrich aus dem Rachenraum oder eine Blutprobe geeignet,[96]
Testergebnisse liegen innerhalb von 60 Minuten vor.[97] In Deutschland ist die vorläufige Zulassung durch
das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beantragt.[98] Die Diagnosegeräte werden zur Zeit in französischen und chinesischen Krankenhäusern getestet (Stand Februar 2020).[97] Zwei weitere Diagnostik-Firmen in Deutschland entwickeln ebenfalls Schnelltests.[98]
Antikörpernachweis Auch der Antikörpernachweis
als serologische Untersuchung wird nach Angabe der WHO derzeit entwickelt (Stand: 17. Januar 2020). Dadurch wird es ein Assay (beispielsweise ein Immunassay
wie ELISA) geben, mit dem Antikörper aus Patienproben
(Blutserum) durch Antigen-Antikörper-Reaktion nachweisbar sind.
Die WHO und das Robert Koch-Institut (RKI) in Deutschland rufen dazu auf, Serumproben von bestätigten oder Verdachtsfällen in der Akutphase zu sammeln und zu asservieren.[81] Die WHO empfiehlt, die erste Probe in der ersten Krankheitswoche und die zweite Probe drei bis vier Wochen später zu nehmen. Damit lässt
sich eine Serokonversion überprüfen.[89][99] In einem chinesischen Forschungslabor wurden im Januar 2020 erste ELISA-Tests durchgeführt, als Antigen
wurde das Nukleokapsidprotein (N) eines Fledermaus-Coronavirus mit Ähnlichkeit zu SARS-CoV-2 verwendet. Damit ließen sich in Serumproben eines Patienten die Antikörper Immunglobulin
G (IgG) und Immunglobulin M (IgM) nachweisen und deren Titer über mehrere Tage
während des Krankheitsverlaufes bestimmen. In einem zweiten Test wurden Serumproben, die 20 Tage nach den ersten Symptomen entnommen wurden, untersucht. Alle Patientenseren, aber nicht die Seren von Gesunden zeigten eine stark positive IgG-Reaktion, einige
Patientenseren zeigten zusätzlich eine IgM-Reaktion, was auf eine aktuelle Immunantwort, also eine momentane Infektion hindeutet.[30]
Zellkultur Die Vermehrung des Virus zu Forschungszwecken in einer Zellkultur ist unter anderem in China,
Australien, Frankreich, Deutschland
und den USA gelungen.[8][83][100][101][102] Die
chinesischen Wissenschaftler verwenden hierbei Epithelzellen des menschlichen Atemtrakts, die das mehrschichtige mukoziliäre
Epithelgewebe (Flimmerepithel) simulieren, ebenso werden die Zelllinien Vero E6 und
Huh-7 eingesetzt.[8][30]
Behandlung Derzeit steht keine spezifische Behandlung zur Verfügung, allenfalls können Symptome gelindert werden; möglicherweise sind aber einige bereits existierende Virostatika, die zum Beispiel gegen MERS-CoV und HIV eingesetzt werden,
auch bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 wirksam.[103][104][105] Dazu gehören Proteasehemmer
wie Indinavir, Saquinavir, Remdesivir,
Lopinavir/Ritonavir und Interferon-beta.[106][107]
Die Nationale Gesundheitskommission der VR China empfiehlt eine Kombination der HIV-Proteaseinhibitoren
Lopinavir und Ritonavir mit inhalativ verabreichtem Interferon Alpha. In den Vereinigten Staaten wurde das Nukleotidanalogon Remdesivir, das eigentlich gegen Ebolafieber entwickelt wurde, eingesetzt. Ein Wirkungsnachweis steht noch aus.[108]
Neben Remdesivir sind in China zur Zeit noch Favipiravir und Chloroquin, ein Wirkstoff gegen Malaria, in der Erprobung am Menschen.[109] Die klinischen
Studien für Remdesivir finden in China und weiteren Staaten statt, Favipiravir – ein Wirkstoff, der gegen das Influenzavirus verwendet wird – wird an 70
Patienten in Shenzhen erprobt und hat am 16. Februar 2020 kurzfristig als wirksames Virustatikum für fünf Jahre unter dem Namen Favilavir die Zulassung erhalten und wird ab
sofort produziert.[110] Chloroquin wurde in Krankenhäusern in Peking
und der Provinz Guangdong an mehr als 100 Patienten getestet und steht mit Umifenovir (Handelsname Arbidol) – ein in Russland und China zugelassener Influenza-Wirkstoff – auf
der empfohlenen Medikationsliste (Stand 20. Februar 2020).[111] Chloroquin hat sich in einer klinischen Studie in China als wirksam erwiesen
(Stand 27. Februar 2020).[112] Erste Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift BioScienceTrends veröffentlicht,
danach ist die Behandlung mit Chloroquin „wirksamer“ als die Behandlung mit Placebos.[113] Das chloroquinhaltige Prophylaxepräparat
Resochin wurde von der Herstellerfirma Bayer im Juli 2019 vom Markt genommen, weil der Wirkstoff nicht mehr in der erforderlichen Qualität geliefert wurde.[114]
Aktuell rufen die Kliniken bereits genesene Patienten zu Blutspenden auf, um mit daraus gewonnenem antikörperreichem Plasma Akutfälle zu therapieren und wertvolle Erkenntnisse zur Entwicklung eines Impfstoffes zu erhalten.[115][116] In einem Diagnose- und Behandlungsschema
für Triagezentren aus Wuhan kommt bei Verdachtspatienten das Virostatikum Umifenovir
und eine antibiotische Behandlung mit Linezolid, Nemonoxacin
oder Fluorchinolonen zum Einsatz. Die antibiotische Behandlung wird mit einer zu erwartenden bakteriellen Zweitinfektion
des durch den Virusinfekt geschädigten Lungengewebes begründet. Die Autoren betonen den Stellenwert des Therapiebeginns vor Eintreffen des RT-PCR-Tests aufgrund klinischer, laborchemischer und apparativer Untersuchungsbefunde. Patienten ohne Nachweis
einer Verminderung der Lymphozytenzahl im Blut, ohne virale Pneumonie, ohne Dyspnoe (Atemnot) und ohne Reduktion der
Sauerstoffsättigung unter <93 % sollten ohne RT-PCR-Testung in die Heimversorgung entlassen werden. Für diese Patienten ist die orale Gabe
von Azithromycin oder Amoxicillin vorgesehen. Patienten mit Pneumonien anderer Genese sollen regulär und nach Möglichkeit ambulant behandelt werden. Schwangere Frauen und Menschen über 65 Jahre sollen als besondere Risikogruppen eher stationär behandelt werden. Die Studienautoren begründen ihr Vorgehen
mit der Überforderung des Gesundheitswesens in Wuhan. Die Behandlung möglichst vieler Patienten zu Hause berge Risiken, sei aber notwendig, um die vielen kritischen Fälle zu versorgen.[117] Vorbeugung Entwicklung von Impfstoffen
Bereits unmittelbar nach Veröffentlichung der RNA-Sequenz des Virus wurde in mehreren Laboren damit begonnen, einen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln.[118]
Die internationale Impfstoffinitiative CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) plante, bis Mitte Juni 2020 erste Tests mit bis dahin entwickelten Impfstoffen
durchzuführen. Dafür erhielten mehrere potentiell geeignete Unternehmen finanzielle Unterstützungen.[22]
In Deutschland betraf dies u. a. die Tübinger Biotechnologiefirma CureVac, die an der schnellen Impfstoffentwicklung arbeitete.[119] Das Robert Koch-Institut verwies darauf, dass derzeit klinische Studien mit Impfstoffen gegen MERS-CoV laufen würden.[12] Allerdings sind klinische Studien lediglich der erste Schritt, es würde bei erfolgreichem Studienverlauf voraussichtlich frühestens in mehreren Monaten ein Impfstoff
zur Verfügung stehen, der allerdings in einer ersten Phase sicher nicht für die gesamte Bevölkerung bereitgestellt werden könnte.[120]
Hygienemaßnahmen Allgemeinbevölkerung
Das Robert Koch-Institut hat am 28. Januar 2020 Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung gegeben, wie man das Risiko für eine Ansteckung wesentlich verringern, aber auch Andere schützen kann. Die Hinweise gelten nicht spezifisch
COVID-19, sondern auch Influenza und anderen Atemwegsinfektionen. Hierbei wird in erster Linie auf folgende Punkte hingewiesen: - auf eine gründliche Händehygiene achten: u. a. mindestens 20 Sekunden Händewaschen
mit Seife: vor und nach dem Essen, vor und nach Kontakt mit anderen Menschen, nach Niesen/Husten;
- einen Mindestabstand von ein bis zwei Metern zu krankheitsverdächtigen Personen halten;
- korrekte Hustenetikette: möglichst in die
Armbeuge husten oder niesen, nicht in die Hand;
- den Kontakt und damit eine potentielle Infektion zu (Hoch-)Risiko-Gruppen, vornehmlich älteren Personen (> 60 Jahre), die meist multimorbid
sind, zu deren Schutz zu verringern oder ganz zu vermeiden.[121]
Atemschutzmasken
werden hingegen in erster Linie für Kranke selbst oder für Personen empfohlen, die engen Kontakt mit Erkrankten haben. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes
senkt durch seine geringe Aerosol-Filterwirkung kaum das Risiko, sich selbst anzustecken, zumal die Masken nicht dicht genug anliegen. Es vermindert aber die Übertragung über die Hände, da sich der Träger nicht direkt an Mund oder Nase
fassen kann.[122] Das Sciencemediacenter Germany – ein disziplinübergreifender Fachinformationsdienst – hat eine darüberhinausgehende
umfangreiche Verhaltens- und Vorsorgeplanung für die Bevölkerung zusammengestellt, damit für einen pandemieartigen Ereignisfall individuelle Vorkehrungen geplant und getroffen werden können.[123]
Medizinisches Personal Partikelfiltrierende Halbmaske FFP2 Das Robert Koch-Institut hat am 24. Januar 2020
erste Hinweise gegeben, welche Hygienemaßnahmen zur Vermeidung einer Übertragung des Erregers durch Tröpfchen auf medizinisches Personal notwendig sind. Mit Änderung
der Falldefinitionen am 14. Februar 2020 wurden auch die Hygienemaßnahmen präzisiert: Es sind Schutzkittel und langärmelige, wasserdichte Einwegschürze, Schutzhandschuhe,
Schutzbrille und Atemschutzmaske (mindestens vom Standard
FFP2) zu tragen. Diese Angaben gelten auch bei der stationären Versorgung.[80][124] Der Patient muss einen Mund-Nasen-Schutz
tragen und wird bei der Verdachtsabklärung in der Arztpraxis sofort in einen separaten Raum geführt und dort untersucht.[80]
Zu den empfohlenen Hygienemaßnahmen gehört die konsequente Einhaltung der Basishygiene, besonders der Händehygiene.[124] Zur chemischen Desinfektion der Hände und Flächen sind Desinfektionsmittel
geeignet, die die Wirkungsbereiche „begrenzt viruzid“, „begrenzt viruzid PLUS“ oder „viruzid“ abdecken.[124][125] Eine Auswertung von 22 Studien, die sich mit der Persistenz
und Inaktivierung von medizinisch relevanten Coronaviren (wie SARS-CoV und MERS-CoV) unter anderem in Gesundheitseinrichtungen beschäftigen, zeigt, dass für
die Oberflächendesinfektion Mittel auf der Basis von Ethanol, Wasserstoffperoxid oder Natriumhypochlorit in entsprechender Konzentration wirksam sind.[51]
Neben den Hygienemaßnahmen durch das medizinische Personal zählen außerdem die Unterbringung des Patienten in einem Isolierzimmer mit Vorraum oder
Schleuse[80] und das Abstellen eventuell vorhandener raumlufttechnischer Anlagen, über die ein Luftaustausch
mit anderen Räumen möglich ist, zu den Präventionsmaßnahmen.[124] Management von Kontaktpersonen durch öffentliche Behörden Die Nachverfolgung von Kontaktpersonen erfolgt im Rahmen des Infektionsschutzes im Einklang mit der Einschätzung der Situation des Geschehens durch das lokal zuständige Gesundheitsamt.
Das Robert Koch-Institut unterscheidet zwischen Kontaktpersonen mit höherem Infektionsrisiko (Kategorie I), Kontaktpersonen mit geringerem Infektionsrisiko (Kategorie
II) und Kontaktpersonen der Kategorie III, dabei handelt es sich um medizinisches Personal mit geeigneter Schutzausrüstung, das Kontakt (Abstand weniger als zwei Meter) zu bestätigten COVID-19-Fällen hat (Stand: 28. Februar 2020).[126] In Deutschland wird Personen der Kategorie I unter Abwägung der Möglichkeiten und nach Risikobewertung des Gesundheitsamtes
eine häusliche Absonderung mit regelmäßiger Gesundheitsüberwachung (bis zum 14. Tag nach dem letzten Kontakt mit dem bestätigten Infektionsfall) empfohlen, dabei sollen die Kontaktpersonen ein Tagebuch führen,
in dem die Körpertemperatur, Symptome und mögliche weitere Kontaktpersonen notiert werden. Das Gesundheitsamt meldet sich täglich, um sich über den Gesundheitszustand informieren zu lassen. Die Kontaktpersonen werden über das COVID-19-Krankheitsbild
informiert und sollen namentlich registriert werden. Falls während der häuslichen Quarantäne Symptome auftreten, die auf eine SARS-CoV-2-Infektion hindeuten, wird die Kontaktperson als Verdachtsfall angesehen und nach Rücksprache mit dem
Gesundheitsamt eine diagnostische Abklärung veranlasst.[126] Personen der Kategorie II wird
eine häusliche Absonderung auf freiwilliger Basis nahegelegt, eine namentliche Registrierung ist optional. Auch hier gilt, dass bei Eintreten von Symptomen unverzüglich das Gesundheitsamt zu informieren ist. Bei der häuslichen
Absonderung ist u. a. die Kontaktperson zeitlich und räumlich von anderen Haushaltsmitgliedern zu trennen und auf die Hygiene (Händewaschen, Hustenetikette) zu achten.[126]
Das Management von Personen der Kategorie III dient dazu, nosokomiale Übertragungen des Virus zu vermeiden. Dabei gilt, dass das medizinische Personal durch
die Verwendung der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) vor Infektionen geschützt ist, aber darüber hinaus durch Schulungen und organisatorische Maßnahmen verhindert werden soll, dass es zu Virusübertragungen im Arbeitsbereich
kommt. Nach Möglichkeit soll das medizinische Personal, das COVID-19-Patienten versorgt, nicht mit der Versorgung anderer Patienten beauftragt werden. Das medizinische Personal soll sensibilisiert werden und sich selbst auf Symptome überwachen, die
Ergebnisse wie auch die verwendete PSA sollen in einem Tagebuch notiert werden.[126] Impfung gegen andere Infektionen Die Berliner
Senatsgesundheitsverwaltung empfahl Ende Februar 2020 allen Menschen über 60 Jahre und chronisch Kranken, ihren Impfstatus
zu überprüfen und gegebenenfalls die Impfung gegen Pneumokokken und Keuchhusten (Pertussis)
durchführen oder auffrischen zu lassen. Denn eine Primärinfektion mit Pneumokokken oder Keuchhusten birgt ein hohes Risiko eines schweren Verlaufs bei einer Ansteckung mit SARS-CoV. Da Menschen über 60 Jahren und chronisch Kranke durch SARS-CoV
besonders gefährdet sind, seien sie vorsorglich zu schützen.[127][128]
Epidemiologie | Dieser Artikel beschreibt ein aktuelles Ereignis. Die Informationen können sich deshalb rasch ändern. | Nachdem
der WHO bis zum 3. Januar 2020 insgesamt 44 Erkrankte gemeldet worden waren, verstarb am 9. Januar 2020 (Ortszeit) erstmals einer der Erkrankten, ein 61-jähriger Mann,[129]
und am 15. Januar 2020 verstarb ein zweiter Erkrankter (im Alter von 69 Jahren) an den Folgen der Virusinfektion.[130] Am 13. Januar
2020 wurde der erste Erkrankungsfall außerhalb Chinas bekannt. Es handelte sich um eine aus Wuhan am 8. Januar 2020 nach Bangkok (Thailand)
eingereiste 61-jährige Frau.[131][132]
Am 20. Januar 2020 berichteten die chinesischen Behörden über einen starken Anstieg der Neuerkrankungen mit 139 neuen Fällen am 18./19. Januar 2020, davon einige auch außerhalb Wuhans in Shenzhen
und Peking. Ein weiterer durch das Virus verursachter Todesfall und der erste Fall aus Südkorea wurden gemeldet.[133] Die chinesischen Behörden bestätigten zudem, dass sich Infektionen durch Mensch-zu-Mensch-Übertragung ereignet hatten.[12][28]
An den folgenden Tagen wurden der WHO täglich neue Erkrankungen aus China gemeldet, die Anzahl der Erkrankten erhöhte sich bis zum 26. Januar 2020 weltweit auf mehr als 2000 und die Anzahl der Todesfälle auf mehr als 50.[134] Auch an den folgenden Tagen erhöhten sich die gemeldeten Fallzahlen sprunghaft, so dass am 31. Januar 2020 bereits fast 10.000 Infizierte
und mehr als 200 Todesfälle,[134] am 10. Februar mehr als 40.000 Infizierte und mehr als 900 Todesfälle[134] und am 22. Februar mehr als 77.000 Infizierte und mehr als 2.300 Todesfälle[134] der WHO gemeldet worden waren. Am 27. Januar 2020 wurden erstmals auch in Deutschland Infektionen nachgewiesen.[135] Zunächst bei einem 33-jährigen Mann aus dem Landkreis
Landsberg am Lech, der von einer Chinesin – der Indexpatientin – infiziert worden war, die sich vom 19. bis 22. Januar auf Dienstreise in dem Unternehmen Webasto SE in Bayern aufgehalten hatte. Zunächst hatte es geheißen, bei ihr seien Anzeichen für eine Infektion erst während des Rückflugs nach China aufgetreten;[70] tatsächlich hatte sie aber bereits zuvor aufgrund erster Symptome fiebersenkende Mittel eingenommen.[71] Bereits am Abend des 28. Januar wurde bekannt gegeben, dass sich auch drei Kollegen des 33-Jährigen mit SARS-CoV-2 infiziert
hatten.[136] An den folgenden Tagen wurde das Virus bei mehreren Kontaktpersonen der Indexpatientin
und bei Angehörigen der in Bayern infizierten Personen nachgewiesen, darunter ein fünfjähriges Kind.[119][137] Ab dem 22. Februar 2020 stieg die Anzahl der Infektionsfälle in Italien
deutlich an.[134] Am Abend des 30. Januar 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Epidemie zu einer Gesundheitlichen
Notlage internationaler Tragweite.[138] Am 9. Februar 2020 überstieg die Zahl der registrierten Todesfälle
mit über 800 die Gesamtzahl der Todesfälle bei der SARS-Pandemie 2002/2003.[45]
Meldepflicht und ICD-10-Einordnung In Deutschland ist laut Infektionsschutzgesetz
(§ 6) das Auftreten einer bedrohlichen übertragbaren Erkrankung an das zuständige Gesundheitsamt zu melden. Mit Wirkung vom 1. Februar 2020 wurde mittels Verordnung[139] durch das Bundesministerium für Gesundheit (Verordnungsermächtigung nach § 15 IfSG) eine Ausdehnung der Meldepflicht beschlossen. Demnach
sind sowohl der Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung und der Tod als auch der laborchemische Nachweis einer akuten Infektion mit dem neuartigen Coronavirus meldepflichtig. Die Meldung des Verdachts hat nur zu erfolgen, wenn der Verdacht sowohl durch das
klinische Bild als auch durch einen wahrscheinlichen epidemiologischen Zusammenhang begründet ist. Dabei ist die Empfehlung[140] zu berücksichtigen, die das Robert Koch-Institut veröffentlicht. Ausnahmsweise muss man bei diesem Virus auch melden, wenn sich der Verdacht nicht bestätigt. Diese
Verordnung gilt bis zum 1. Februar 2021, sofern nicht mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes verordnet wird. In Österreich besteht ebenfalls Anzeigepflicht und zwar nach dem Epidemiegesetz von 1950 zusammen mit einer Verordnung. Die
Pflicht zur Anzeige besteht für Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle aufgrund dieses Viruses.[141] Auch in der Schweiz existiert
eine Meldepflicht.[142] Das Bundesamt für Gesundheit hat hierzu Verdachts-, Beprobungs-, Meldekriterien veröffentlicht.[143] Am 17. Februar 2020 wurde die Krankheit durch die WHO in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in der
aktuellen, international gültigen Ausgabe ICD-10-WHO aufgenommen (Schlüsselnummer U07.1). Auch für die in Deutschland geltende ICD-10-GM (German Modification) wurde ein sekundärer Kode (Ausrufezeichenschlüsselnummer) vergeben
(U07.1!) und die Krankheit als COVID-19 Coronavirus-Krankheit-2019 bezeichnet.[144] Weiterhin erfolgte eine entsprechende Ergänzung
für die Todesursachenkodierung in der ICD-10-GM.[12]
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- ↑ Pressemitteilung: 7. Fall in München Klinik Schwabing in stabilem Zustand. In:
Website Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. 27. Januar
2020, abgerufen am 9. Februar 2020.
- ↑ WHO ruft wegen Coronavirus weltweite Notlage aus. Süddeutsche
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- ↑ Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 7 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen
neuartigen Coronavirus („2019-nCoV“). CoronaVMeldeV. Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (Deutschland), 30. Januar 2020,
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- ↑ Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Meldung von Verdachtsfällen von COVID-19. Robert Koch-Institut, 14. Februar 2020, abgerufen am 5. März 2020.
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2020: „Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz1950 unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019-nCoV („2019 neuartiges Coronavirus“).“
- ↑ Neues Coronavirus: Informationen für Gesundheitsfachpersonen. Verdachts- und Meldekriterien sowie Meldeformular. Bundesamt für Gesundheit, 5. März 2020, abgerufen am 5. März
2020.
- ↑ Meldeformulare. COVID-19 Meldung Update 04.03.2020. Bundesamt für Gesundheit, 4. März 2020, abgerufen am 5. März 2020.
- ↑ ICD-10 (WHO und GM): U07.1 kodiert COVID-19, Coronavirus-Krankheit-2019. Deutsches
Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), 17. Februar 2020, abgerufen am 29. Februar 2020.
Schizophrenie
Schizophrenie Zur
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Klassifikation nach ICD-10 |
F20.0 | paranoide Schizophrenie | F20.1 | Hebephrenie | F20.2 | katatone Schizophrenie | F20.3 | undifferenzierte Schizophrenie | F20.4 | Postschizophrene
Depression | F20.5 | Schizophrenes Residuum | F20.6 | Schizophrenia simplex | ICD-10 online (WHO-Version 2019) | Künstlerische Darstellung einer für Schizophrenie typischen Halluzination
Als Schizophrenie werden psychische Erkrankungen mit ähnlichem Symptommuster bezeichnet, die zur Gruppe der Psychosen gehören. Im akuten Krankheitsstadium treten bei schizophrenen Menschen eine Vielzahl charakteristischer Störungen auf, die fast alle Bereiche des inneren Erlebens
und Verhaltens betreffen, wie Wahrnehmung, Denken, Gefühls-
und Gemütsleben, Willensbildung, Psychomotorik und Antrieb. Häufig werden nicht wirklich vorhandene Stimmen gehört (sogenanntes Stimmenhören).
Es kann der Wahn vorkommen, verfolgt, ausspioniert oder kontrolliert zu werden. Weiter kann das Gefühl auftreten, fremdgesteuert
zu werden, z. B. durch Gedankenentzug oder Gedankeneingebung. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität sind möglich. Auch sozialer Rückzug, Antriebslosigkeit, mangelnde Motivation, emotionale
Verflachung und Freudlosigkeit werden nicht selten beobachtet. Je nach vorherrschenden Symptomen werden mehrere Untergruppen der Schizophrenie unterschieden. In den meisten bislang untersuchten geographischen Kulturen erkrankt etwa 0,5 % bis 1 % der Bevölkerung mindestens
einmal im Verlauf des Lebens an Schizophrenie. Das Risiko einer Erkrankung ist für Männer und Frauen gleich hoch, wobei Männer statistisch gesehen in einem etwas früheren Lebensalter betroffen sind. Obwohl Erkrankungen aus dem schizophrenen
Formenkreis seit dem Altertum beschrieben werden, konnte bislang für sie noch keine einzelne alleinverantwortliche Ursache ermittelt werden. Man geht daher heute (Stand 2018) von einem Zusammenspiel mehrerer auslösender Faktoren aus. In vielen
Fällen kommt es nach der erstmaligen Krankheitsphase zu einem Verschwinden der Symptome. Danach können in unregelmäßigen Zeitintervallen weitere Krankheitsphasen
folgen. Bei etwa einem Drittel der Erkrankten bilden sich ab einem Zeitpunkt alle Symptome vollständig zurück. Bei ungefähr einem weiteren Drittel kommt es immer wieder zu Krankheitsphasen. Beim letzten Drittel ergibt sich ein chronischer Verlauf, der zu einer andauernden psychischen Behinderung führt. Die Bezeichnung Schizophrenie leitet sich von altgriechisch σχίζειν s’chizein = „spalten, zerspalten, zersplittern“ und φρήν phrēn = „Geist, Seele, Gemüt, Zwerchfell“
ab. Im antiken Griechenland hielt man das Zwerchfell für den Sitz der Seele, weshalb das Wort „phren“ (φρήν)
für beide Begriffe stand. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Schizophrenie wörtlich mit Spaltungsirresein übersetzt. Damit sollte beschrieben werden, was man damals als Kern der Erkrankung ansah: den „Verlust des inneren
Zusammenhanges der Seelenvorgänge“.[1] Der Begriff wurde am 24. April
1908 von dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler in einer Sitzung des Deutschen Vereins für Psychiatrie (DVP) erstmals
öffentlich vorgestellt. Im selben Jahr veröffentlichte Bleuler den Artikel Die Prognose der Dementia praecox (Schizophreniegruppe)
in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie und psychischgerichtliche Medizin[2]
und 1911 die bekannte Schrift Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenien.[3] Bleulers Konzept der Schizophrenie trat in Konkurrenz zum Konzept der Dementia praecox (vorzeitige Demenz) von Emil
Kraepelin.[4] Erste Diagnosen mit der Bezeichnung
„Schizophrenie“ wurden jedoch erst ab 1921 und ab 1930 häufiger gestellt.[5]
Im klinischen Alltag in psychiatrischen Einrichtungen wurde früher bei Visiten und in Arztbriefen auch von „Morbus Bleuler“ gesprochen, um die negativ besetzte und stigmatisierende Bezeichnung Schizophrenie zu vermeiden. Früher wurden die Schizophrenie und die affektive Psychose unter dem Begriff endogene
Psychose zusammengefasst. Schizophrenie geht zwar einher mit Einschränkungen bei manchen intellektuellen Fähigkeiten, nicht
jedoch mit einer verminderten Intelligenz, auch wenn der historische Begriff Dementia praecox diesen Irrtum zu bekräftigen scheint.[6][7] Es ist Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion, ob es sich bei der Schizophrenie um eine einzige Krankheitseinheit handelt oder um eine Gruppe von Erkrankungen – mit unterschiedlichen Ursachen und Verläufen.[8] Begriffsverwendung außerhalb der Fachsprache Von medizinischen Laien wird Schizophrenie häufig mit Identitätsstörungen (dissoziative Identitätsstörung) verwechselt, insbesondere mit der Vorstellung einer „gespaltenen
Persönlichkeit“. Dies hat seine Ursache in einer zu wörtlichen Rückübersetzung der beiden Teile des Fachbegriffs, nämlich „spalten“ und „Geist“.[9] Daneben etablierte sich seit den 1950er Jahren „schizophren“ in der Umgangssprache
als abwertende Einstufung im Sinne von „unsinnig, sich absurd verhaltend, wahnhaft, zwiespältig“.[10] Auch der allgemeine Begriff der Geisteskrankheit wurde früher für Schizophrenie verwendet.[11] Die Symptome der Schizophrenie werden traditionell in zwei große Bereiche unterteilt: Positivsymptome und Negativsymptome.[12][13]
In jüngerer Zeit finden jedoch auch die kognitiven Symptome der Erkrankung zunehmend Beachtung und werden als eigener dritter Bereich gesehen.[14] Anders als der Begriff nahelegt, sind damit jedoch nicht Intelligenzdefizite
gemeint, sondern u. a. Probleme mit Aufmerksamkeit, Gedächtnis und der Planung von Handlungen. Das Ausmaß der Betroffenheit in diesen
Bereichen sagt am besten voraus, wie gut Patienten ihren Alltag bewältigen können.[15]
Kognitive Störungen dieser Art sind ein zentraler Symptomkomplex der Schizophrenie.[16] Das Denken kann kurzschrittig werden, oder mehrschichtige Zusammenhänge in ihrer Komplexität nicht mehr begriffen
werden. Der sprachliche Ausdruck verarmt. In zugespitzten Fällen können Perseveration (stereotypes Wiederholen eines Wortes oder
Gedankens) oder Idiolalie (unverständliche Laute) auftreten. Die Ausprägung der Symptome hängt zum Teil von der Persönlichkeit
des Betroffenen ab. Die Symptomatik unterscheidet sich zwar zwischen verschiedenen Personen insgesamt stark; doch ihr individuelles Symptommuster behalten die einzelnen Patienten oft über lange Zeiträume bei. Positivsymptome (oder Plussymptome)
bezeichnen Übersteigerungen des normalen Erlebens und werden deshalb als eine Art „Überschuss“ gegenüber dem gesunden Zustand angesehen. Dazu gehören starke Fehlauffassungen der erlebten Wirklichkeit bis hin zu Halluzinationen und Realitätsverlust. Schizophrenien mit überwiegend positiven Symptomen beginnen oft plötzlich, und oft gibt es vorher keine nach außen auffälligen Merkmale. Der Krankheitsverlauf ist hierbei eher günstig. Charakteristische Positivsymptome sind inhaltliche Denkstörungen, Ich-Störungen, Sinnestäuschungen und innere Unruhe. Typisch für die inhaltlichen Denkstörungen ist die
Bildung eines Wahns. Häufig treten akustische Halluzinationen (Akoasmen) auf: Etwa 84 % der Menschen mit einer schizophrenen Psychose nehmen Gedanken wahr, von denen sie meinen, deren Ursprung komme von außen. Sie nehmen z. B. Stimmen wahr, die in seltenen Fällen auch Befehle
erteilen. Dies wird im allgemeinen Sprachgebrauch als „Stimmen hören“ bezeichnet. Häufig haben
Betroffene den Eindruck, durch fremde Stimmen beleidigt zu werden. Ein solches Erleben kann während des Alleinseins oder inmitten von Sätzen auftreten, die umstehende Menschen sagen. Halluzination von Stimmen gibt es auch bei Ertaubten, sogar bei
taub geborenen. Bei Gehörlosen mit einer Schizophrenie-Diagnose sind allerdings optische und taktile Halluzinationen deutlich häufiger
(bei jeweils ca. 50 % der Personen) als allgemein bei Schizophrenie (ca. 15 % bzw. 5 %).[17] Zu den Ich-Störungen zählen: - Gedankeneingebung:
Erleben der eigenen Gedanken als von anderen aufgezwungen
- Gedankenausbreitung: Vorstellung, andere könnten die eigenen Gedanken „abhören“ oder „mitlesen“
- Gedankenentzug: Verlustgefühl, dass andere die eigenen Gedanken stehlen oder abschneiden
- Fremdsteuerung: Gefühl, von anderen wie ein ferngelenkter Roboter gesteuert zu werden.
Negativsymptome (oder Minussymptome)
bezeichnen Einschränkungen des normalen Erlebens sowie von psychischen Funktionen, die früher vorhanden waren, aber durch die Krankheit reduziert sind oder ganz fehlen. Diese Symptome stellen also einen Mangel gegenüber dem gesunden Zustand
dar. Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Negativsymptome:[18][19] Negativsymptom | Erklärung | Affektverflachung |
Mangelnde Bandbreite von Emotionen in Wahrnehmung, Erleben und Ausdruck. Die Verarmung der Gemütserregungen (Affekte) äußert sich in
einer verminderten Fähigkeit „emotional mitzumachen“. Die Betroffenen reagieren gemütsmäßig nur eingeschränkt auf normalerweise bewegende Ereignisse, erscheinen durch Erfreuliches wie Unerfreuliches wenig berührt.
Der normale Wechsel zwischen verschiedenen affektiven Zuständen (Freude, Neugier, Trauer, Wut, Stolz …) geht verloren. | Alogie |
Mangel an sprachlichen Äußerungen mit verzögerten, wortkargen Antworten und einer wenig differenzierten Sprache | Asozialität | mangelnde Kontaktfähigkeit in Form von Desinteresse am Umgang mit anderen
Menschen, sozialem Rückzug, wenigen Freunden und wenig sexuellen Interessen (nicht zu verwechseln mit antisozialem Verhalten) | Avolition | mangelnde Fähigkeit, ein zielgerichtetes Verhalten zu beginnen und beizubehalten |
Antriebsstörung | verminderte Fähigkeit und Wille zu zielgerichteter
Aktivität (Antriebsschwäche) | Abulie | Mangel an Willenskraft in Form von Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen |
Apathie | mangelnde Erregbarkeit und Unempfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen, was zu Teilnahmslosigkeit und Interesselosigkeit
führt | Anhedonie | mangelnde Fähigkeit, Freude und Lust oder Genuss zu empfinden | „dynamische
Entleerung“ | Mangelnde Motivation zu Aktivitäten mit resultierender Antriebsarmut. Umfasst fehlende Zukunftsplanung, bis hin zu weitgehender Perspektivlosigkeit. | motorische Defizite | Mangel an Mimik und Gestik
mit reduziertem Bewegungsspiel. Diese Defizite lassen den Erkrankten oft abweisend oder kontaktgestört erscheinen. Diese Distanz lässt sich durch Zuwendung überbrücken, die von den Erkrankten in der Regel dankbar angenommen wird, auch wenn
sie das durch Mimik und Gestik nicht zeigen können. Die Verarmung der Psychomotorik lässt die affektive Resonanz stärker beeinträchtigt erscheinen, als sie ist. Werden die Patienten also nicht gerade während eines verfestigten Wahnzustands
angesprochen, sind sie zumeist empfänglich für Zuwendung. | Schizophrenien mit einer ausgeprägten Negativsymptomatik beginnen oft schleichend und der Krankheitsverlauf ist eher ungünstig. Negativsymptome können
schon Monate oder Jahre vor den akuten psychotischen Symptomen auftreten („Knick in der Lebenskurve“, „vorauslaufender Defekt“). Als Frühsymptome treten sehr oft Schlafstörungen und nicht selten auch depressive Symptome auf. Die Negativsymptome verstärken oder verfestigen sich üblicherweise mit zunehmender Krankheitsdauer. Bei etwa zwei Dritteln der an Schizophrenie
erkrankten Personen überdauern die Negativsymptome die Positivsymptome nach einem akuten Schub („schizophrener Defekt“, „Residualzustand“, „Residualsymptomatik“). Diese unterschiedlich ausgeprägten Einschränkungen
führen zu Kontaktstörung, sozialem Rückzug und oft auch zu Invalidität. Bei einem
gewissen Prozentsatz der an Schizophrenie Erkrankten bleiben jedoch keine Restsymptome zurück (siehe Residualsymptomatik). Nach Abklingen einer
akuten Krankheitsphase bei einer schubförmig verlaufenden Schizophrenie folgt gelegentlich eine vorübergehende depressive Episode („depressive
Nachschwankung“). Unterschieden werden sollte zwischen echten Negativsymptomen und den Nebenwirkungen der Therapie mit einem Neuroleptikum.
Die Nebenwirkungen von Neuroleptika können einer Negativsymptomatik ähnlich sein.
Wichtig ist eine sorgfältige Diagnose, da sämtliche Symptome einer Schizophrenie (also Positiv- wie Negativsymptomatik) auch durch Epilepsie oder andere Erkrankungen des Gehirns, Stoffwechselstörungen
und durch den Konsum oder den Entzug von Drogen hervorgerufen werden können. Als problematisch gilt, dass zwischen dem tatsächlichen Ausbruch der
Krankheit und ihrer Diagnose eine erhebliche Zeitspanne liegen kann. Studien zeigen, dass erste Veränderungen schon fünf Jahre vor der ersten
akuten Psychose zu beschreiben sind.[20]
Die erste Behandlung erfolgt durchschnittlich zwei Monate nach dem Beginn der ersten akuten Phase. Zur Verkürzung dieser Zeit der unbehandelten Erkrankung wurden inzwischen sogenannte Früherkennungszentren eingerichtet, die u. a. über das Kompetenznetz Schizophrenie im Internet recherchiert werden können. Aufgrund der unterschiedlichen Definitionen des Krankheitsbildes in Europa und den USA kam es zu deutlichen Unterschieden in den angegebenen Häufigkeiten; erst die Einführung eines einheitlichen Diagnosesystems (ICD) führte
zu einer einheitlicheren Diagnostik. Bei diesem System flossen bezüglich der Kriterien für Schizophrenie sowohl die Symptome der Schizophrenie nach Schneider als auch die Symptome
der Schizophrenie nach Bleuler ein. Heute werden schizophrene Erkrankungen nach den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation
(ICD-10) oder der Amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft (DSM-5) diagnostiziert. Nach DSM-5 ist Schizophrenie durch fünf von der Norm abweichende Hauptmerkmale gekennzeichnet: - Wahn: Der Wahn beschreibt
eine feste Überzeugung, die trotz gegenteiliger Evidenz nicht verändert werden kann. Wahninhalte reichen von Verfolgungswahn, Beziehungswahn, körperbezogenem Wahn und religiösem Wahn bis hin zum Größenwahn.
- Halluzinationen:
Halluzinationen sind wahrnehmungsähnliche Erfahrungen, die ohne adäquate externe Reize auftreten. Halluzinationen erscheinen den Betroffenen eindeutig und klar, können durch die Betroffenen nicht kontrolliert werden und treten mit der
gleichen Intensität und Wirkung auf wie normale Wahrnehmungen.
- Desorganisiertes Denken (desorganisierte Sprache): Auf desorganisiertes Denken (formale Denkstörung) wird üblicherweise aus den sprachlichen Äußerungen der Betroffenen geschlossen. Betroffene können von einem Gedanken zum nächsten springen („Entgleisung“ oder
„Assoziationslockerung“). Antworten können nur indirekt oder gar nicht mit den Fragen verbunden sein („Danebenreden“).
- Grob desorganisiertes Verhalten oder gestörte Motorik (inklusive der Katatonie): Grob desorganisiertes Verhalten kann sich auf unterschiedliche Weisen manifestieren, die von kindlicher Albernheit bis zu unvorhersehbarer Unruhe reichen.
Probleme können sich bei jeder Form zielgerichteten Verhaltens bemerkbar machen und zu Schwierigkeiten bei der Durchführung von Alltagsaktivitäten führen.
- Negativsymptome: Negativsymptome erklären einen wesentlichen
Teil der Morbidität bei Schizophrenie und sind bei anderen psychotischen Erkrankungen weniger ausgeprägt. Zwei Bereiche der Negativsymptome sind bei der Schizophrenie besonders häufig: verminderter emotionaler Ausdruck und die reduzierte Willenskraft (Avolition).
Diagnosekriterien im DSM-5: A.) Zwei (oder mehr) der folgenden Symptome, jedes bestehend
für einen erheblichen Teil einer einmonatigen Zeitspanne (oder kürzer, wenn erfolgreich behandelt). Mindestens eines dieser Symptome muss (1), (2) oder (3) sein. - Wahn.
- Halluzinationen.
- Desorganisierte Sprechweise (z. B.
häufiges Entgleisen oder Zerfahrenheit).
- Grob desorganisiertes oder katatones Verhalten.
- Negativsymptome (z. B. verminderter emotionaler Ausdruck oder reduzierte Willenskraft [Avolition]).
B.) Für eine erhebliche
Zeitspanne seit dem Beginn der Störung sind eine oder mehrere zentrale Funktionsbereiche wie Arbeit, zwischenmenschliche Beziehungen oder Selbstfürsorge deutlich unter dem Niveau, das vor dem Beginn erreicht wurde. C.) Zeichen des Störungsbildes
halten durchgehend für mindestens 6 Monate an. Das ICD-10 führt
neun Symptomgruppen ((a)–(i)) an. Von den festgestellten Symptomen müssen über einen Zeitraum von mindestens einem Monat (beinahe ständig) mindestens ein eindeutiges Symptom aus den Gruppen (a) bis (d) oder Symptome aus mindestens
zwei der Gruppen (e) bis (h) zutreffen. Die Gruppe (i) dient zur Diagnose der „Schizophrenia simplex“ (ICD-10 2014).[21][22] Symptomgruppen nach ICD-10: - (a) Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung
- (b) Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, Wahnwahrnehmungen
- (c) kommentierende oder dialogische Stimmen
- (d) anhaltender, kulturell unangemessener und völlig unrealistischer Wahn
- (e) anhaltende Halluzinationen
jeder Sinnesmodalität, begleitet von flüchtigen Wahngedanken oder überwertigen Ideen
- (f) Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit, Danebenreden oder Neologismen führt
- (g) katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, wächserne Biegsamkeit, Negativismus, Verstummen (Mutismus) oder Starrezustand (Stupor)
- (h) „negative“ Symptome wie auffällige Apathie, verflachte oder inadäquate
Affekte
- (i) deutliche und konstante Veränderung im persönlichen Verhalten (Interessensverlust, Ziellosigkeit, Müßigkeit, sozialer Rückzug)
Schizophrenie bei Erwachsenen Schizophrenien können sowohl schubweise als auch chronisch verlaufen, wobei die schubweise Verlaufsform häufiger ist. Ein
Schub, also eine akute Krankheitsphase, kann mehrere Wochen bis Monate dauern. Danach klingt die Krankheit mehr oder weniger vollständig ab, bis nach Monaten oder Jahren ein neuer Schub erfolgt. Nur selten bleibt es bei einem einzelnen Schub. Zwischen
den einzelnen Schüben kann es zu einer vollständigen Zurückbildung (Remission) der Symptome kommen. Üblicherweise
folgt der akuten Phase jedoch eine Phase mit Restsymptomen (Residualphase) aus der Gruppe der negativen Symptome. Solche Symptome sind zum Beispiel stark eingeschränkte soziale Kompetenz, Beeinträchtigung der persönlichen Hygiene, auffallende Sprachmuster (Sprachverarmung), Depressivität oder Antriebsmangel. Bei manchen Verläufen bleiben die Residualsymptome stabil, bei
anderen werden sie nach jedem Schub stärker. Der erste Krankheitsschub beginnt typischerweise zwischen Pubertät und dreißigstem Lebensjahr. Bei Frauen beginnt die erste schizophrene Episode in der Regel etwas später als bei Männern
(etwa fünf Jahre).[23] So genannte Spätschizophrenien (erster Schub nach dem
40. Lebensjahr) treten bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Gründe für diesen geschlechtsspezifischen Unterschied sind bislang (Stand 2018) nicht bekannt.[24] Faktoren (Prädiktoren) für einen eher
günstigen Verlauf sind unauffällige Primärpersönlichkeit, höheres
Ausbildungsniveau, gute soziale Anpassung, ungestörte Familienverhältnisse, akuter Krankheitsbeginn, erkennbare psychosoziale Auslösefaktoren und ausgeprägte affektive und paranoide Symptome. Faktoren für einen eher ungünstigen
Verlauf sind: soziale Isolation, längeres Bestehen der Episode vor einer Behandlung, vorangegangene psychiatrische Behandlungen, frühere Verhaltensauffälligkeiten (wie etwa ADHS) und mangelnde Beschäftigung. Deutlich erhöht ist die Suizidgefahr: Etwa 5 % aller Erkrankten
sterben durch Selbsttötung. Dies betrifft am häufigsten jüngere Männer.[25] Schizophrenie bei Kindern In seltenen Fällen können bei Kindern Formen von schizophrenen Psychosen auftreten.[26] Die wichtigsten Symptome dabei sind Sprachzerfall, Kontaktverlust und affektive Störungen. Schizophrenien bei Kindern vor dem Schulalter sind nicht diagnostizierbar, da die Symptome die Beeinträchtigung des Denkens, Sprechens, der Wahrnehmung
und Gefühlswelt voraussetzen und diese Fähigkeiten in diesem Alter noch nicht hinreichend entwickelt sind. Von der kindlichen Schizophrenie, die als plötzlicher Knick in einer bis dahin normalen Entwicklung verstanden werden muss, muss man den kindlichen
Autismus (Kanner-Syndrom
und Asperger-Syndrom) unterscheiden. Dieser zeigt sich bereits ab Geburt oder Krabbelalter. Schätzungen zur Lebenszeitprävalenz
der Schizophrenie haben eine große Spannbreite. Der mittlere statistische Wert (Median) liegt bei etwa 0,5 Prozent. Geographische und kulturelle Einflüsse
auf die Häufigkeit können bislang (Stand 2018) aufgrund der Vielfalt der Untersuchungsmethoden und der großen Spannbreite der Ergebnisse nicht zuverlässig beschrieben werden.[27]
Als Erklärungsmodell zur Verursachung (Ätiologie)
der schizophrenen Psychosen geht man derzeit von einem multifaktoriellen Wechselspiel aus biologischen (z. B. genetischen, infektiösen, metabolischen)
und psychosozialen (z. B. soziales Umfeld, psychische Belastungen in der Biografie) Ursachen aus. Demnach können mehrere dieser Faktoren in Kombination eine Schizophrenie auslösen – so wie es im Vulnerabilitäts-Stress-Modell dargestellt wird. Dabei gilt das Überschreiten einer Belastungsschwelle als der auslösende Faktor,
der die Psychose bei einem biologisch anfälligen (vulnerablen) Menschen ausbrechen lässt. Als zentral wird eine Fehlregulierung
der Informationsverarbeitung angesehen.
Genetik Je näher die Verwandtschaft mit einem Schizophreniekranken, desto wahrscheinlicher wird auch eine eigene Erkrankung. Bei einem schizophreniekranken Elternteil beträgt sie fünf bis zehn Prozent, bei kranken
Geschwistern acht bis zehn Prozent, bei eineiigen Zwillingen 45 % und etwa 21 % bei zweieiigen Zwillingen.[28] Wäre die Schizophrenie eine rein genetisch verursachte Krankheit, müsste sie bei eineiigen Zwillingen 100 % betragen.[29][30] Im Rahmen der Gen-Umwelt-Interaktion erhöhen beispielsweise Geburtskomplikationen wie Sauerstoffmangel,
Infektion oder Stressbelastung der Mutter, das Risiko an Schizophrenie zu erkranken.[31][32] Ein weiteres Beispiel für eine mögliche Gen-Umwelt-Interaktion ist das Zusammenwirken von genetisch
bedingter Anfälligkeit und einer Infektion, insbesondere während der frühen Kindheit.[33] Auch biografische psychische und soziale Einflussfaktoren können bei vorhandener genetischer Vulnerabilität
maßgeblich für die Entstehung einer Schizophrenie verantwortlich sein.[34][35][36][37] Neurobiologie Durch bildgebende Verfahren ist bekannt, dass das Gehirn im Falle von Schizophrenie vielfache Abweichungen in Anatomie und
Physiologie zeigt. Es ist Gegenstand der neueren Forschung (Stand 2018), den Zusammenhang zwischen bestimmten Abweichungen und dem zu erwartenden
Verlauf der Krankheit aufzuklären.[38] Eine
schizophrene Psychose geht auch einher mit biochemischen Veränderungen im Gehirn. Ebenfalls durch bildgebende Verfahren ist bekannt, dass bei Schizophrenie die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn bezüglich der Neurotransmitter-Systeme, die mit Dopamin, GABA, oder Glutamat arbeiten,
von ihrer normalen Funktionsweise abweicht.[39] Toxische
Faktoren Allgemein kann festgestellt werden, dass stark bewusstseinsverändernde Substanzen den Ausbruch einer Schizophrenie begünstigen. Pauschale Aussagen können nicht getroffen werden; es kommt sowohl auf die genetische Disposition
als auch auf die jeweilige Persönlichkeit an. Psychotrope Substanzen wie Alkohol, Amphetamine,
Kokain und Phencyclidin können substanzinduzierte Psychosen auslösen.[40][41][42] Ebenfalls ist bekannt, dass auch nicht bewusstseinsverändernde Stoffe wie z. B. Steroide eine Psychose hervorrufen können.[40] Beobachtungen bei experimentell erzeugten Psychosen, wie z. B. durch Halluzinogene induziert, lassen den Schluss zu, dass die experimentell erzeugte Psychose ein nützliches Modell für akute schizophrene Psychosen (Schübe)
darstellt.[43] Hormonelle Faktoren
Es gab bereits seit vielen Jahrzehnten Anzeichen, dass Estrogene Einfluss auf das Risiko der Erkrankung und die Schwere der Symptome haben. In neuerer
Zeit (2018) konnte nachgewiesen werden, dass als Zugabe neben der normalen medikamentösen Behandlung selektive Estrogenrezeptormodulatoren, wie etwa Raloxifen, die Symptome von Schizophrenie leicht vermindern können
sowie auch über längere Zeiträume angewendet werden können, und zwar sowohl bei Frauen als auch bei Männern.[44][45] Die frühere Annahme eines schizophrenieauslösenden Familienmilieus (insbesondere der „schizophrenogenen Mutter“) gilt als überholt. Dies gilt auch für die lange Zeit populäre Doppelbindungstheorie. Ich-Entwicklungsdefizite oder gravierende Vernachlässigung in den ersten Lebensjahren können dagegen Faktoren sein, die zu einer größeren Krankheitsanfälligkeit (Vulnerabilität) führen. Nach Josef Bäuml sei die Bedeutung psychosozialer Einflüsse in den 1950er und 1960er Jahren deutlich überschätzt worden. Heute wisse man, dass dieser Bereich weniger als Ursache, sondern eher für den weiteren
Verlauf der Krankheit von Bedeutung sei.[46] In einer umfassenden Verlaufsstudie
(prospektive Studie) zeigte sich, dass Kinder von Müttern, die ihr Kind in der späten Schwangerschaft als „ungewollt“
bezeichnet hatten, mehr als doppelt so häufig wie eine Kontrollgruppe im Laufe ihres Lebens an Schizophrenie erkranken. Nach der Einschätzung der Autoren ließen die Ergebnisse den Schluss zu, dass entweder psychosozialer Stress während
der Schwangerschaft oder eine besondere Tendenz im generellen Verhalten der Mutter mit einem erhöhten Risiko verknüpft war.[35] Eine Metaanalyse von 2012 bestätigte, dass das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, mit der Größe des Wohnortes zunahm, und zwar bis zu einer Erhöhung um den Faktor 2,37
beim Vergleich zwischen dem am meisten ländlichen Umfeld und dem am meisten verstädterten Umfeld. Bei der Bewertung dieses Ergebnisses betonten die Autoren, dass sowohl besondere Einflüsse des städtischen Umfelds als auch besondere familiäre
oder persönliche Faktoren, die die Wahl des Wohnortes beeinflussten, als mögliche Ursachen in Frage kämen.[34] Nach Übersichtsarbeiten von 2006 und 2016 und einer Metaanalyse von 2012 gab es Anzeichen dafür, dass das Vorkommen eines Kindheitstraumas in der Biographie von Menschen mit Schizophrenie statistisch erhöht ist.[36][47][37]
Eine Metaanalyse von 2011 ergab, dass das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, bei Einwanderern und ihrer nachfolgenden Generation erhöht ist: bei der ersten Generation um den Faktor 2,3 und bei der zweiten Generation um den Faktor 2,1. Die Autoren
betrachteten die Ergebnisse als Anzeichen dafür, dass wegen des Effekts in der zweiten Generation die Einflüsse aus der Zeit nach der Einwanderung größer seien als die Einflüsse aus der Zeit vor der Einwanderung. Die vorgefundenen
Unterschiede zwischen den Einzelstudien wurden mit möglichen Einflüssen der verschiedenen sozialen Umfelder in Verbindung gebracht.[48]
Die folgenden Unterformen der Schizophrenie stellen keine abschließende Aufzählung dar. Häufig kann eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis keiner dieser
Formen eindeutig zugeordnet werden, da es viele Mischformen und Überschneidungen gibt. Die folgenden Subtypen beschreiben eher symptomatische Schwerpunkte innerhalb der schizophrenen Psychosen. In der DSM-5 wurde die Einteilung in Untergruppen aufgegeben. Hierbei handelt es sich um die häufigste Form der Schizophrenie (ca. 60 %). Wesentliche Merkmale der paranoiden Schizophrenie sind Wahnerlebnisse und Trugwahrnehmungen (Halluzinationen). Auch
Ich-Störungen sind häufig. Die wahnhaften Erlebnisse führen oft zu großer Angst und starkem Misstrauen.[49]
Die Hebephrenie, auch desintegrative Schizophrenie, bezeichnet eine kleine Gruppe von im Jugendalter
beginnenden Formen der schizophrenen Psychose. Hier stehen affektive Veränderungen (d. h. Auffälligkeiten des Gefühls- und Gemütslebens und der Stimmung),
desorganisiertes Verhalten und Denkstörungen im Vordergrund. Die Betroffenen werden häufig als emotional verflacht oder verarmt
beschrieben. Oft lässt sich ein Entwicklungsknick beobachten: plötzlicher Leistungsabfall in der Schule, Abbruch sozialer Beziehungen, auffallende Antriebslosigkeit oder Isolierung. Aufgrund dieser Symptome ist die Abgrenzung einer Hebephrenie von üblichen, nicht
krankhaften Pubertätsschwierigkeiten nicht einfach. Wahn und Halluzinationen kommen nur bruchstückhaft vor. Der hebephrenen Schizophrenie
wird im ICD-10 eine eher ungünstige Prognose zugesprochen.[50] Bei der katatonen Schizophrenie prägen psychomotorische Symptome das Erscheinungsbild. Es können zum Beispiel Haltungsstereotypien
auftreten (eigenartige Haltungen werden eingenommen und über lange Zeit beibehalten). Im katatonen Stupor ist der Patient bewegungslos bei voll erhaltenem
Bewusstsein: Er ist wie erstarrt und spricht nicht. Eine Unterform des Stupors ist die Katalepsie, bei der man den Kranken wie eine Gliederpuppe bewegen kann. In der katatonen Erregung (Raptus)
kommt es zu starker motorischer Unruhe („Bewegungssturm“). Erregung und Stupor können schlagartig wechseln. Der katatone Stupor kann zu Nahrungs- und Flüssigkeitsverweigerung führen, und die Betroffenen können nicht auf die Toilette gehen. Daher ist der katatone Stupor ein lebensgefährlicher
psychiatrischer Notfall. Spätestens seit 2010 wurde das Konzept dieser Unterform der Schizophrenie heftig kritisiert.
Katatonie und Schizophrenie seien grundverschiedene Syndrome, die durch bestimmte medikamentöse Tests leicht auseinander gehalten werden könnten und die auch eine völlig unterschiedliche Behandlung erforderten.[51] Diese eher seltene Unterform wurde 1903 zuerst von Otto
Diem beschrieben.[52] Hier setzt die Krankheit im Erwachsenenalter langsam
und schleichend ein, wobei die auffallenden halluzinatorischen und paranoiden Symptome fehlen. Daher wird sie auch als eher harmlose (blande) Psychose bezeichnet. Die Betroffenen werden von ihrer Umwelt leicht als „seltsam“ oder „verschroben“ empfunden und ziehen sich mehr und mehr zurück.[53] Eugen Bleuler schrieb zur Schizophrenia simplex: „...ist eine schleichende Form der Schizophrenie, die
sich über lange Jahre vor allem durch ein zunehmendes, unbegreifliches soziales Versagen bei Menschen kennzeichnet, die vorher gesund waren(…). Kommen die Kranken Jahre nach Beginn dieses Versagens zur ärztlichen Untersuchung, findet man keine
in die Augen springenden, dramatischen psychotischen Zeichen. Bald fällt aber ihre unklare, verschrobene Sprache auf; sie zeigt bei genauer Untersuchung die Kennzeichen der schizophrenen Zerfahrenheit. Noch auffälliger ist aber gewöhnlich der
Autismus solcher Kranken: Sie leben dahin, ohne sich groß um gesunde Lebensziele, um ihr berufliches Fortkommen, ihre Angehörigen und ihre Zukunft zu kümmern.“[54] Im Allgemeinen gilt dieses Störungsbild als schwer diagnostizierbar, unter anderem wegen starker definitorischer Überschneidungen mit der schizotypen Störung. Im DSM-IV ist die Schizophrenia simplex als klinische Diagnose gar nicht definiert, aber im Anhang
B als Forschungskategorie enthalten.[55] Eine Schizophrenie ist abzugrenzen von anderen psychischen Störungen, z. B. von: Häufig wird Schizophrenie
bei Menschen mit einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS) fehldiagnostiziert.
Das liegt unter anderem daran, dass die Schneiderschen Symptome ersten Ranges häufiger
bei Patienten mit DIS vorkommen als bei Schizophreniekranken selbst, und somit eher für die dissoziative Identitätsstörung charakteristisch sind.[56] Bis heute gelten schizophrene Störungen als nicht im eigentlichen Sinne „heilbar“. Mit Einführung der Neuroleptika verschwanden
die früher praktizierten „harten Kuren“ wie Malariatherapie, Insulinschock oder Lobotomie (Operationen am Frontallappen der Patienten).[57] Heute existiert
eine ganze Reihe von Behandlungsmöglichkeiten, die es den Erkrankten häufig ermöglichen, ein weitgehend beschwerdefreies Leben zu führen. In einer akuten Phase steht dabei die medikamentöse Behandlung im Vordergrund und sie verbleibt unter der gesamten Behandlung die Basis
der Therapie.[58] In erster Linie werden dabei sogenannte Antipsychotika (auch: Neuroleptika) eingesetzt, die spezifisch auf psychotische Symptome (positive Symptomatik, also etwa die Halluzinationen) wirken. Sie beeinflussen
die Signalübertragung durch Neurotransmitter im Gehirn und können oft relativ schnell die Akut-Symptomatik mildern oder beseitigen.
Neuroleptika führen nicht zu einer Gewöhnung oder Abhängigkeit. In einer Metaanalyse von 2017 wurde ermittelt, dass die Sterblichkeitsrate von Schizophrenie-Patienten durch Medikation mit Neuroleptika nahezu halbiert wurde.[59]
Ältere Neuroleptika (auch: typische Neuroleptika oder Neuroleptika der ersten Generation) beeinflussen vornehmlich die Signalübertragung durch Dopamin. Da Dopamin unter anderem auch wesentliche Funktionen bei der Bewegungssteuerung hat, treten in diesem Bereich teilweise gravierende Nebenwirkungen auf, sogenannte extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen (tardive Dyskinesien) mit Bewegungsstörungen, hauptsächlich im Gesichtsbereich und an den Extremitäten, parkinsonähnliche Symptome und quälender Bewegungsunruhe (Akathisie).
Besonders problematisch sind hierbei die sogenannten Spätdyskinesien, die erst nach längerer Zeit der Einnahme auftreten und nach Absetzen der Medikation teilweise bestehen bleiben. Klassische Neuroleptika können zur Erhöhung des Prolaktinspiegels
im Blut (Hyperprolaktinämie) führen, und dies wiederum kann eine Unterdrückung der Estradiolproduktion bewirken. Hierdurch werden Langzeitfolgen wie emotionale Instabilität, Osteoporose, eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos und kognitive Störungen für möglich gehalten. Deswegen wird oft eine Östrogensubstitution durchgeführt.[60]
Mit der Einführung
des Clozapins 1972 gab es ein Präparat, das bei gleichzeitig überlegener Wirkung keine der extrapyramidalen Nebenwirkungen zeigte. Die danach
eingeführten Antipsychotika sind Versuche, diese überlegene Wirkung zu erreichen, ohne die bei dem Clozapin auftretenden Nebenwirkungen, vor allem die Blutbildveränderungen, in Kauf zu nehmen.[61] Extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen bestehen auch bei den neueren atypischen Neuroleptika. Sie sind
hier jedoch in der Regel geringer und unterscheiden sich je nach Präparat, vorheriger Behandlung und persönlicher Konstitution des Patienten.[62][63][64]
In einer Metaanalyse von 2016 bezüglich Längsschnittstudien zu Auswirkungen von Neuroleptika während
der Schwangerschaft zeigte sich, dass die Fortsetzung der Medikation während der Schwangerschaft keine größeren Risiken für Mutter und Kind mit sich führten als die Aussetzung der Medikation vor der Schwangerschaft.[65] In einer Metaanalyse von 2012 wurde der mögliche Einfluss von Eicosapentaensäure aus der Gruppe der Omega-3-Fettsäuren
als Zugabe zur Behandlung von Schizophrenie untersucht. Bei etablierter Schizophrenie zeigte sich keine Wirkung. Schlüsse zu einer möglichen Wirkung bei Rückfall-Prävention oder in der Frühphase der Erkrankung waren jedoch nicht möglich.[66]
Eine weitere Behandlungsmethode stellt die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) dar, bei der unter Narkose mittels
elektrischer Impulse an der Schädeldecke eine kurzzeitige neuronale Übererregung im Gehirn ausgelöst wird. Diese wird vom Arzt elektroenzephalografisch (EEG) beobachtet. Es gibt Empfehlungen zur Anwendung bei katatonen und pharmakotherapieresistenten
Schizophrenien.[67][68][69][70][71] Therapeutische Effekte sind nachgewiesen, halten in der Regel aber nur vorübergehend an. Unerwünschte
Nebenwirkungen wie partielle und in der Regel vorübergehende Gedächtnisverluste wurden nachgewiesen.[72] Zu Beginn, der sich häufig schleichend entwickelt, und in der akuten Phase ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Patient und
Therapeut von großer Wichtigkeit. Als wesentliche Vorbereitung hierfür wird heute oft die sogenannte Psychoedukation empfohlen.[73][74][75] Hierauf aufbauend folgen dann die eigentlichen Therapien: - Soziotherapie, Arbeitstherapie, Ergotherapie und unterstützte Beschäftigung (supported
employment) können helfen, eine Tagesstruktur zu etablieren, nachdem sich gezeigt hat, dass diese psychisch stabilisierend wirkt. Eventuell können diese Maßnahmen auch auf den Erhalt oder die Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes abzielen, der
seinerseits auch psychisch stabilisierend ist und der erheblichen Gefahr eines sozialen Abstieges entgegenwirken kann.[76][77]
- Körperliche Aktivität verbessert nachweislich die klinischen Symptome, die Lebensqualität, das allgemeine Funktionsniveau und reduziert depressive Symptome bei Schizophrenen.[78][79][80]
- Psychotherapie: Ziel von Psychotherapie bei schizophrenen Erkrankungen ist die Linderung von ungünstigen Einflüssen äußerer Stress-Faktoren sowie die Verbesserung der Lebensqualität und die Förderung
von Fähigkeiten zur Krankheitsbewältigung (stützende Psychotherapie).[81] Nicht nur für den an einer Schizophrenie Erkrankten
selbst, sondern auch für seine Angehörigen hat sich eine Familientherapie bewährt; denn es zeigte sich, dass negative
Einstellungen in der Umgebung eine zusätzliche Rückfallgefahr bedeuten.[82][83]
- Metakognitives Training: Vor dem Hintergrund einer Vielzahl wissenschaftlicher Befunde, wonach Menschen mit Schizophrenie Probleme in der Beurteilung eigener Denkvorgänge (Metakognition) aufweisen,[84]
wird zunehmend metakognitives Training (MKT) als zusätzliche Behandlung eingesetzt. Eine 2018 erschienene Meta-Analyse berichtete eine signifikante Überlegenheit von MKT gegenüber Kontrollinterventionen im schwachen bis mittleren Effektstärkebereich.[85]
- Soteria ist eine alternative milieutherapeutische stationäre Behandlung von Menschen in psychotischen Krisen. Dies wird u. a. durch eine enge, stützende therapeutische Begleitung in einer überschaubaren
wohnlichen und an Reizen armen Umgebung erreicht.[86]
- Neurofeedback, eine spezielle Form des Biofeedbacks, bewirkt bei dem Patienten eine aktive Rückkopplung zu seinen momentanen Hirnaktivitäten. Beispielsweise können dadurch möglicherweise therapieresistente, akustische Halluzinationen beeinflusst werden.[87]
Bei etwa 75 % der Patienten besteht vor dem Auftreten erster psychotischer Symptome eine Vorlaufphase (Prodromalphase), die mehrere
Jahre andauern kann. In dieser Vorlaufzeit kommt es oft zu unspezifischen (unklaren) negativen und depressiven Symptomen. Da diese in der Regel negative soziale Folgen haben und daher das Risiko einer Schizophrenie erhöhen, ist eine frühe Erkennung
einer möglichen Vorlaufphase von großer Bedeutung und geeignet die Prognose für den Krankheitsverlauf spürbar zu verbessern.[88]
In der Zeit des Nationalsozialismus galt Schizophrenie mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GezVeN) vom 14. Juli 1933 als Diagnose, welche „Unfruchtbarmachung“
– sprich: Zwangssterilisation bzw. Zwangskastration – zur Folge hatte. Bei systematischen Massentötungen (→ Aktion T4, Aktion 14f13 und Aktion Brandt) war Schizophrenie mit ein Kriterium für die euphemistisch Euthanasie
genannte Ermordung. Zwischen 220.000 und 269.500 Menschen mit Schizophrenie wurden sterilisiert oder getötet. Das sind 73 bis 100 % aller zwischen 1939 und 1945 in Deutschland an Schizophrenie Erkrankten. Die Ermordung psychiatrischer Patienten gilt
als das größte Verbrechen in der Geschichte der Psychiatrie.[89][90]
Auch außerhalb des Machtbereichs des Nationalsozialismus gab es viele Länder, in denen gesetzlich geregelte Zwangssterilisationen von Schizophrenie-Patienten praktiziert wurde.[91] Beispielsweise wurden in der Schweiz unter maßgeblicher Beteiligung des Schweizer Psychiaters Eugen Bleuler und seines Sohns Manfred Zwangssterilisationen und Zwangskastrationen an schizophrenen Patienten propagiert und durchgeführt. Das mögliche Unverständnis im sozialen Umfeld des Patienten gegenüber der Krankheit und
ihren Symptomen kann leicht zu einer Ausgrenzung (Stigmatisierung) führen. Die umsichtige Beachtung dieses Risikos ist eine besondere
Herausforderung für alle Beteiligten.[92][93][94]
Zu den literarischen Werken, in denen Schizophrenie dargestellt wird, zählen u. a. Georg Büchners Novelle Lenz (1835) und sein Dramenfragment Woyzeck
(1836–1837), Hannah Greens Buch Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen (1964), Unica Zürns Roman Der Mann im Jasmin (1977), Heinar
Kipphardts Schauspiel März, ein Künstlerleben (1980), Dorothea Bucks autobiographischer Roman Auf der Spur des Morgensterns – Psychose als Selbstfindung (1990), Ruth Whites Roman Helle Sonne, dunkler
Schatten (2000), Renate Klöppels Roman Die Schattenseite des Mondes (2004) sowie Henri Loevenbrucks Roman Das Kopernikus-Syndrom (Le Syndrome Copernic) (2008). Auch im Spielfilm ist Schizophrenie gelegentlich ein zentrales Thema,
z. B. in Wie in einem Spiegel (1961), Identikit (1974), Ich
hab’ dir nie einen Rosengarten versprochen (1977) und Woyzeck (1979) nach oben erwähntem Buch bzw. Dramenfragment,
Clean, Shaven (1993), Angel Baby (1995), Shine – Der Weg ins Licht (1996) über
das Leben des Pianisten David Helfgott, Benny und Joon (1993), Forever Lulu (2000), Das weiße Rauschen
(2001), A Beautiful Mind (2001), Donnie Darko (2001), Der Solist (2009) Take Shelter (2011) sowie Hirngespinster (2014). Die Schizophrenie wird auch in der US-Serie Perception (2012) behandelt, in der Dr. Daniel Pierce, ein Collegeprofessor für Neuromedizin, durch seine Schizophrenie
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Depression
Depression Zur
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Die Depression (von lateinisch deprimere „niederdrücken“) ist eine psychische
Störung. Typische Symptome einer Depression sind gedrückte Stimmung, negative Gedankenschleifen und ein verminderter Antrieb. Häufig gehen Freude und Lustempfinden, Selbstwertgefühl,
Leistungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und das Interesse am Leben verloren. Diese Symptome treten auch bei gesunden Menschen zeitweise auf, bei einer Depression sind sie jedoch länger anhaltend, schwerwiegender ausgeprägt
und senken deutlich die Lebensqualität. In der Psychiatrie wird die Depression
den affektiven Störungen zugeordnet. Die Diagnose wird nach Symptomen
und Verlauf (z. B. einmalige oder wiederholte depressive Episode) gestellt. Die Standardbehandlung
einer Depression beinhaltet Psychotherapie und ab einem gewissen Schweregrad zusätzlich die Einnahme von Antidepressiva.
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff depressiv häufig für eine normale traurig-niedergeschlagene Stimmungslage ohne Krankheitswert verwendet[1] (der richtige Fachbegriff dazu wäre deprimiert). Im medizinischen Sinne ist die Depression
jedoch eine ernste, behandlungsbedürftige und oft folgenreiche Erkrankung, die sich der Beeinflussung durch Willenskraft oder Selbstdisziplin
des Betroffenen entzieht. Sie stellt eine wesentliche Ursache für Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung
dar und ist an rund der Hälfte der jährlichen Selbsttötungen in Deutschland beteiligt In einer internationalen Vergleichsstudie von 2011 wurde die Häufigkeit in Ländern mit hohem Einkommen verglichen mit der in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Die Lebenszeitprävalenz betrug in der ersten Gruppe (zehn Länder) 14,9 % und in der zweiten Gruppe (acht Länder)
11,1 %. Das Verhältnis von Frauen zu Männern war ungefähr 2:1.[2]
Eine Metaanalyse von 26 Studien mit Daten von 60.000 Kindern der Jahrgänge 1965–1996 ergab für die Altersgruppe unter 13 eine
Prävalenz von 2,8 % und für die Altersgruppe 13–18 eine von 5,6 % (Mädchen 5,9 %, Jungen 4,6 %).[3] Die Krankheitslast durch Depressionen, etwa in Form von Arbeitsunfähigkeiten, stationären Behandlungen und Frühverrentungen, ist in Deutschland in den letzten Jahren stark
angestiegen.[4][5][6] Es wird angenommen, dass sich die tatsächliche Krankheitshäufigkeit deutlich weniger gravierend verändert hat und das vermehrte
Auftreten durch eine bessere Erkennung und weniger Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Störungen herrührt.[7] Auch die mit der Zeit niedrigschwelliger gewordenen Diagnose-Kriterien für eine psychische Störung werden als Teilursache kritisch diskutiert.[8] Ergebnisse von Langzeitstudien auf der anderen
Seite sprechen jedoch eher für einen echten Anstieg, der mit verschiedenen gesellschaftlichen Einflussfaktoren in Zusammenhang gebracht wird.[9][10][11]
Auch in Deutschland scheinen nach Krankenkassendaten jüngere Generationen gefährdeter zu sein, im Laufe ihres Lebens eine psychische Störung zu erleiden.[12] Die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeitsdauer der
versicherten Erkrankten belief sich im Jahr 2014 laut Angaben der Techniker Krankenkasse auf 64 Tage (im Vergleich: bei allen
Diagnosen durchschnittlich 13 Tage). Von den zehn Gruppen mit den höchsten Erkrankungsraten gehören sieben dem Berufsbereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung an. Mit Abstand führen Mitarbeiter in Callcentern die Liste an, gefolgt von
Alten- und Krankenpflegern, Erziehern und Kinderbetreuern, Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung und Beschäftigten im Bewachungsgewerbe. Vergleichsweise wenig anfällig sind Hochschullehrer, Software-Entwickler und Ärzte. Frauen sind
fast doppelt so oft betroffen wie Männer. Von 2000 bis 2013 hat sich die Zahl der verordneten Tagesdosen von Antidepressiva fast verdreifacht. In regionaler Hinsicht führen Hamburg (1,4 Arbeitsunfähigkeitstage pro versichertem Arbeitnehmer),
Schleswig-Holstein und Berlin (je 1,3 Tage) die Liste an. In Hamburg sind 9,2 Prozent der gesamten Arbeitsunfähigkeitstage durch Depression bedingt. In Süd- und Ostdeutschland sind die Raten im Durchschnitt geringer.[13] Bei Studierenden, die bisher als relativ gesunde Gruppe galten, sind inzwischen nach Angaben der Barmer GEK 17 Prozent (etwa 470.000 Menschen), vor allem ältere, von einer psychischen Diagnose betroffen.[14] Im Jahre 2011 wurde von mehreren Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik
und Nervenheilkunde (DGPPN) eine Versorgungsleitlinie zum Thema Depression erarbeitet. Sie empfiehlt, zur Diagnose
nach ICD-10 zwischen drei Haupt- und sieben Zusatzsymptomen zu unterscheiden.[15]
Die Hauptsymptome sind:[15] - Gedrückte, depressive Stimmung: Die Depression ist charakterisiert durch Stimmungseinengung oder bei einer schweren Depression das „Gefühl der Gefühllosigkeit“
bzw. das Gefühl anhaltender innerer Leere.
- Interessensverlust und Freudlosigkeit: Verlust der Fähigkeit zu Freude oder Trauer; Verlust
der affektiven Resonanz, das heißt, die Stimmung des Patienten ist durch Zuspruch nicht aufzuhellen
- Antriebsmangel
und erhöhte Ermüdbarkeit: Ein weiteres typisches Symptom ist die Antriebshemmung. Bei einer schweren depressiven Episode können Betroffene in ihrem Antrieb so stark gehemmt sein, dass sie auch einfachste Tätigkeiten wie Körperpflege,
Einkaufen oder Abwaschen nicht mehr verrichten können.[16]
Die
Zusatzsymptome sind:[15] - verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
- vermindertes Selbstwertgefühl
und Selbstvertrauen (Insuffizienzgefühl)
- Schuldgefühle und Gefühle von Minderwertigkeit
- negative und pessimistische
Zukunftsperspektiven (hoffnungslos): Charakteristisch sind übertriebene Sorge um die Zukunft, unter Umständen übertriebene Beunruhigung durch Bagatellstörungen im Bereich des eigenen Körpers (siehe Hypochondrie), das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der Hilflosigkeit oder tatsächliche Hilflosigkeit
- Suizidgedanken oder -handlungen: Schwer Betroffene empfinden oft eine völlige Sinnlosigkeit ihres Lebens. Häufig führt dieser qualvolle Zustand zu latenter oder akuter Suizidalität.[17]
- Schlafstörungen
- verminderter Appetit
Ferner kann zusätzlich noch ein somatisches Syndrom
vorliegen: - Interessenverlust oder Verlust der Freude
- mangelnde Fähigkeit, emotional auf die Umwelt zu reagieren
- frühmorgendliches Erwachen: Der Schlaf ist gestört in Form von vorzeitigem Erwachen, mindestens zwei
Stunden vor der gewohnten Zeit. Diese Schlafstörungen sind Ausdruck eines gestörten 24-Stunden-Rhythmus. Die Störung des chronobiologischen
Rhythmus ist ebenfalls ein charakteristisches Symptom.
- Morgentief: Häufig geht es dem Kranken vormittags besonders schlecht. Bei einer seltenen Krankheitsvariante verhält es sich umgekehrt: Es tritt ein sogenanntes „Abendtief“
auf, das heißt, die Symptome verstärken sich gegen Abend und das Einschlafen ist erschwert oder erst gegen Morgen möglich.
- psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit: Die Hemmung von Bewegung und Initiative geht häufig mit innerer Unruhe einher, die körperlich als ein Leidgefühl wahrgenommen wird und sehr quälend sein kann (stumme Exzitation, lautlose
Panik).[16]
- deutliche Appetitlosigkeit,
- Gewichtsabnahme, Gewichtszunahme („Kummerspeck“),
- Auch kann sich das sexuelle Interesse vermindern oder erlöschen (Libidoverlust).
Depressive Erkrankungen gehen gelegentlich mit körperlichen Symptomen einher, sogenannten Vitalstörungen, Schmerzen in ganz unterschiedlichen Körperregionen, am typischsten mit einem quälenden Druckgefühl auf der Brust. Während einer depressiven Episode ist die Infektionsanfälligkeit erhöht. Beobachtet wird auch sozialer Rückzug, das Denken ist verlangsamt (Denkhemmung),
sinnloses Gedankenkreisen (Grübelzwang), Störungen des Zeitempfindens. Häufig bestehen Reizbarkeit und Ängstlichkeit. Hinzukommen kann eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen.[18]
Der Schweregrad wird nach ICD-10 gemäß der Anzahl Symptome eingeteilt:[15] - leichte Depression: zwei Hauptsymptome und zwei Zusatzsymptome
- mittelschwere Depression: zwei Hauptsymptome und drei bis vier Zusatzsymptome
- schwere
Depression: drei Hauptsymptome und fünf oder mehr Zusatzsymptome
Die Symptomatik einer Depression kann sich bei Frauen und Männern auf unterschiedliche Weise ausprägen. Bei den Kernsymptomen sind die Unterschiede gering. Während bei Frauen eher Phänomene wie Mutlosigkeit und Grübeln verstärkt
zu beobachten sind, gibt es bei Männern deutliche Hinweise darauf, dass eine Depression sich auch in einer Tendenz zu aggressivem Verhalten niederschlagen kann. In einer Studie von 2014 wurden die unterschiedlichen Ausprägungen bei Frauen und Männern
mit Unterschieden bei den biologischen Systemen der Stressreaktion in Verbindung gebracht.[19] Das Erkennen von Depressionssymptomen bei Vorschulkindern ist inzwischen relativ gut erforscht, erfordert jedoch die Beachtung einiger Besonderheiten. Entsprechendes gilt für
Schulkinder und Jugendliche.[20] Bei Kindern liegt die Prävalenz von Depression etwa bei drei Prozent, bei Jugendlichen bei etwa achtzehn Prozent.[21] Die Symptome sind bei Kindern und Jugendlichen oft nur schwer zu erkennen, da sie von alterstypischen Verhaltensweisen überlagert werden. Dies erschwert die Diagnostik. Für Kinder und Jugendliche gelten
die gleichen Diagnoseschlüssel wie für Erwachsene. Allerdings können bei Kindern eine ausgesprochene Verleugnungstendenz und große Schamgefühle vorliegen. In einem solchen Fall kann Verhaltensbeobachtung und die Befragung der Eltern
hilfreich sein. Auch die familiäre Belastung in Hinblick auf depressive Störungen sowie anderen Störungen sollte in den Blick genommen werden. Im Zusammenhang mit Depression wird oft eine Anamnese des Familiensystems nach Beziehungs- und Bindungsstörungen sowie frühkindlichen Deprivationen
oder auch seelischen, körperlichen und sexuellen Misshandlungen erstellt. Zu den weiteren diagnostischen Schritten kann
auch eine Befragung der Schule oder des Kindergartens hinsichtlich der Befindlichkeit des Kindes oder Jugendlichen zählen. Häufig wird auch eine orientierende Intelligenzdiagnostik durchgeführt, welche eine eventuelle Über- oder Unterforderung aufdecken soll. Spezifische Testverfahren
für Depression im Kindes- und Jugendalter sind das Depressions-Inventar
für Kinder und Jugendliche (DIKJ) und der Depressions-Test für Kinder (DTK).
Klassifikation nach ICD-10 | F32.0 | Leichte depressive Episode (Der Patient fühlt sich krank und sucht ärztliche Hilfe, kann aber trotz Leistungseinbußen seinen beruflichen und privaten Pflichten noch
gerecht werden, sofern es sich um Routine handelt.) | F32.1 | Mittelgradige depressive Episode (Berufliche oder häusliche Anforderungen können nicht mehr oder – bei Tagesschwankungen – nur noch zeitweilig bewältigt
werden). | F32.2 | Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (Der Patient bedarf ständiger Betreuung. Eine Klinik-Behandlung wird notwendig, wenn das nicht gewährleistet ist). | F32.3 | Schwere
depressive Episode mit psychotischen Symptomen (Wie F.32.2, verbunden mit Wahngedanken, z. B. absurden Schuldgefühlen, Krankheitsbefürchtungen, Verarmungswahn u. a.). | F32.8 | Sonstige depressive Episoden |
F32.9 | Depressive Episode, nicht näher bezeichnet | ICD-10 online (WHO-Version 2019) | Da die Depression eine sehr häufige Störung ist, sollte sie bereits vom Hausarzt erkannt werden, was aber nur in etwa der Hälfte aller Fälle gelingt. Manchmal wird die Diagnose erst von einem Psychiater,
von einem Arzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder von einem psychologischen Psychotherapeuten
gestellt. Wegen der besonderen Schwierigkeiten der Diagnostik und Behandlung von Depressionen im Kindesalter sollten Kinder und Jugendliche mit einem Verdacht auf eine Depression grundsätzlich von einem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder von einem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten untersucht werden. Verbreitete Verfahren zur Einschätzung des Schweregrades einer depressiven
Episode sind die Hamilton-Depressionsskala (HAMD), ein Fremdbeurteilungsverfahren, das Beck-Depressions-Inventar (BDI), ein Selbstbeurteilungsverfahren, und das Inventar
depressiver Symptome (IDS), welches in einer Fremd- und einer Selbstbeurteilungsversion vorliegt. Mitunter wird eine Depression von einer anderen Erkrankung überdeckt und nicht erkannt. In der ICD-10 fallen Depressionen unter
den Schlüssel F32.–- und werden als „depressive Episode“ bezeichnet. Im Falle sich wiederholender Depressionen werden diese unter F33.– klassifiziert, bei Wechsel zwischen manischen und depressiven Phasen unter
F31.–. Die ICD-10 benennt drei typische Symptome der Depression: depressive Stimmung, Verlust von Interesse und Freude sowie eine erhöhte Ermüdbarkeit. Entsprechend dem Verlauf unterscheidet man im gegenwärtig verwendeten Klassifikationssystem
ICD-10 die depressive Episode und die wiederholte (rezidivierende) depressive Störung. Laut S3-Leitlinie für unipolare Depression werden als Screening folgende Fragebögen empfohlen:[22] - „WHO-5-Fragebogen
zum Wohlbefinden“
- „Gesundheitsfragebogen für Patienten (Kurzform PHQ-D)“
- Allgemeine
Depressionsskala (ADS).
- Eine weitere Möglichkeit der schnellen Erfassung einer möglichen depressiven Störung ist der so genannte „Zwei-Fragen-Test“.
Folgende Fragebögen werden in der Leitlinie zur Verlaufsdiagnostik empfohlen, also um zu ermitteln, inwiefern die Therapie anspricht und die Symptomatik sich verbessert:[22] Fragebögen zur Selbstbeurteilung: Fragebögen zur Fremdbeurteilung:
Durch eine Differentialdiagnose wird versucht, eine mögliche Verwechslung mit einer der folgenden Krankheiten oder Störungen
auszuschließen: Gegenwärtig ist das Diagnose-Schema nach ICD-10 in der medizinischen Praxis verbindlich. Die Schwere der Depression wird
dort durch die Begriffe leichte, mittelgradige und schwere depressive Episode unterschieden, bei letzterer noch mit dem Zusatz mit oder ohne psychotische Symptome (siehe auch: Diagnose). Nach dem ICD-10 Diagnose-Schema wird die chronische Depression nach Schwere und Dauer eingestuft in Dysthymie oder rezidivierende (wiederholte) Depression. Hier ist das
DSM-5 genauer, da zu bestehenden chronischen depressiven Verstimmungen
noch phasenweise zusätzliche Depressionen hinzukommen können. Innerhalb der DSM-5 wird dies dann „double depression“ genannt. Dort wurde jedoch auch der Ausschluss von Trauerreaktionen als Diagnosekriterium aufgehoben.[26] Organische Depression (ICD-10 F06.3 – „Organische affektive Störungen“)
nennt man ein depressives Syndrom, das durch eine körperliche Erkrankung hervorgerufen wird, beispielsweise durch Schilddrüsenfunktionsstörungen,
Hypophysen- oder Nebennierenerkrankungen,
Schlaganfall oder Frontalhirnsyndrom.
Nicht zur organischen Depression zählten hingegen Depressionen im Gefolge von hormonellen Umstellungen, z. B. nach der Schwangerschaft
oder in der Pubertät. „Eine depressive Episode muss … von einer organischen depressiven Störung unterschieden
werden. Diese Diagnose ist (vorrangig) zu stellen, wenn die Störung des Affekts sehr wahrscheinlich als direkte körperliche Folge eines spezifischen Krankheitsfaktors (z. B. Multiple Sklerose, Schlaganfall, Hypothyreose) angesehen wird.“[27] Dies gibt dem weiterbehandelnden Arzt Hinweise, dass eine somatische Erkrankung als Ursache der Depression zugrunde liegt
und bei der Diagnostik und Behandlung zu berücksichtigen ist (und nicht die Depression die Ursache funktioneller oder
psychosomatischer Beschwerden ist). Die reaktive Depression wird als Reaktion auf ein aktuell belastendes Ereignis verstanden und heute als mögliches Symptom einer Anpassungsstörung (ICD-10: F43.2) diagnostiziert. Der Begriff endogene Depression umfasst ein depressives Syndrom ohne erkennbare äußere
Ursache, das meist auf veränderte Stoffwechselvorgänge im Gehirn und genetische Veranlagungen zurückgeführt wurde (endogen bedeutet innen entstanden). Heute wird sie im klinischen Alltag als eine Form der affektiven Psychose bezeichnet. Die neurotische Depression oder Erschöpfungsdepression soll durch länger andauernde belastende Erfahrungen in der Lebensgeschichte verursacht sein. Als Sonderform
der Depression wurde die anaklitische Depression (Anaklise = Abhängigkeit von einer anderen Person) bei Babys
und Kindern angesehen, wenn diese allein gelassen oder vernachlässigt wurden. Die anaklitische Depression äußere sich durch Weinen, Jammern, anhaltendes Schreien und Anklammern und könne in psychischen Hospitalismus übergehen. Die somatisierte (≠ somatische) Depression
(auch maskierte bzw. larvierte Depression genannt) ist eine Depression, bei der körperliche Beschwerden das Krankheitsbild prägten.
Die depressive Symptomatik bleibt unterschwellig. Beschwerdeschilderungen in Form von Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Beklemmungen
in der Brustregion, Schwindelempfindungen und vieles mehr sind beschrieben. Die unterschiedlichsten körperlichen Empfindungen fungierten als „Präsentiersymptome“ einer Depression. Die Häufigkeit der gestellten Diagnose
„maskierte Depression“ betrug in der Hausarztpraxis bis zu 14 % (jeder siebte Patient).[28][29] Das Konzept, das in den 1970er bis 1990er Jahren große Verbreitung fand, wurde inzwischen aufgegeben, wird aber von einigen Ärzten,
entgegen der Empfehlung, noch heute verwendet.[30] Die zur depressiven Symptomatik
gehörende innere Unruhe führte zu Erscheinungsformen, die unter agitierter Depression subsumiert wurde.
Dabei werde der Patient von einem rastlosen Bewegungsdrang, der ins Leere lief, getrieben, wobei zielgerichtete Tätigkeiten nicht möglich seien. Der Kranke gehe umher, könne nicht still sitzen und auch Arme und Hände nicht still halten,
was häufig mit Händeringen und Nesteln einher gehe. Auch das Mitteilungsbedürfnis sei gesteigert und führe zu ständigem, einförmigen Jammern und Klagen. Die agitierte Depression wurde bei älteren Menschen vergleichsweise häufiger beobachtet auf als in jüngerem und mittlerem Alter. Etwa 15–40 % aller depressiven Störungen
wurden als „atypische Depressionen“ bezeichnet. „Atypisch“ bezog sich auf die Abgrenzung zur endogenen Depression und nicht auf die Häufigkeit dieses Erscheinungsbildes einer Depression. In einer deutschen Studie aus dem
Jahr 2009 betrug der Anteil atypischer Depressionen 15,3 %. Bei Patienten mit atypischer Depression wurde im Vergleich zu den anderen depressiven Patienten ein höheres Risiko ausgemacht, auch an somatischen Angstsymptomen, somatischen Symptomen,
Schuldgedanken, Libidostörungen, Depersonalisation und Misstrauen zu leiden.[31] Als Spät-/Involutionsdepression galt eine Depression, die erstmals nach dem 45. Lebensjahr auftrat und deren Prodromalphase deutlich länger war als bei den Depressionen mit früherem Beginn. Frauen seien von der Spätdepression häufiger betroffen (gewesen) als Männer. Sie grenze sich u. a. von früher
auftretenden Depressionen durch ihre längere Phasendauer, mehr paranoide und hypochondrische Denkinhalte, eine relative Therapieresistenz sowie eine erhöhte Suizidgefahr ab. Hiervon zu unterscheiden sei die Altersdepression, die nach dem 60. Lebensjahr erstmals auftrete. Die Bezeichnung Altersdepression allerdings sei irreführend, da sich eine depressive Episode
im Alter nicht von der in jungen Jahren unterscheide, jedoch bei Älteren häufiger Depressionen als bei Jüngeren auftreten.
Die Ursachen depressiver Störungen sind komplex und nur teilweise verstanden. Es existieren sowohl anlagebedingte als auch erworbene Anfälligkeiten (Prädispositionen) zur Ausbildung einer Depression. Erworbene Anfälligkeiten können durch biologische Faktoren und durch lebensgeschichtliche soziale oder psychische Belastungen ausgelöst werden.
Eine Studie von 2015 auf der Grundlage von Familiendaten von 20.198 Personen in Schottland ergab eine Erblichkeit von 28 bis 44 %, wobei die gemeinsamen Umwelteinflüsse einer Familie nur einen kleinen Einflussfaktor von sieben Prozent bildeten.[32] Zwillingsstudien zeigten, dass die genetische Komponente nur ein Faktor ist. Selbst bei identischer genetischer
Ausstattung (eineiige Zwillinge) erkrankt der Zwillingspartner des depressiven Patienten in weniger als der Hälfte der Fälle. Inzwischen konnten auch bei der nachträglichen (epigenetischen) Veränderung der genetischen Information Unterschiede zwischen betroffenen und nicht betroffenen Zwillingspartnern festgestellt werden, also Einflüsse der Lebensgeschichte auf die Steuerung der Erbinformation.[33] Ferner besteht zwischen genetischen Faktoren und Umweltfaktoren
eine Gen-Umwelt-Interaktion, engl. gene–environment
interaction (GxE). So können genetische Faktoren z. B. bedingen, dass ein bestimmter Mensch durch eine große Risikobereitschaft sich häufig in schwierige Lebenssituationen manövriert.[34] Umgekehrt kann es von genetischen Faktoren abhängen, ob ein Mensch eine psychosoziale Belastung bewältigt
oder depressiv erkrankt. Ein wesentlicher genetischer Vulnerabilitätsfaktor für das Auftreten einer Depression
wird in einer Variation in der Promotorregion des Serotonin-Transportergens 5-HTTLPR vermutet. 5-HTTLPR steht dabei für Serotonin (5-HT) Transporter
(T) Length (L) Polymorphic (P) Region (R). Das Gen befindet sich auf dem Chromosom 17q11.1–q12. Es kommt in der
Bevölkerung in unterschiedlichen Formen vor (sogenannter „unterschiedlicher Längenpolymorphismus“ mit einem sogenannten „kurzen“ und einem „langen Allel“). Träger des kurzen Allels reagieren empfindsamer auf psychosoziale Stressbelastungen und sollen damit ein bis zu doppelt so großes Risiko (Disposition) an einer Depression zu erkranken haben wie die Träger
des langen Allels. In zwei Meta-Analysen von 2011 wurde der Zusammenhangs zwischen kurzem Allel und Entwicklung von Depression
nach Stress bestätigt.[35][36] In einer Meta-Analyse von 2014 wurden im Zusammenhang mit Depression für insgesamt sieben Kandidatengene signifikante Daten festgestellt: 5HTTP/SLC6A4, APOE, DRD4, GNB3, HTR1A,
MTHFR, und SLC6A3.[37] Bestimmte Abweichungen, die für
die Entstehung von Depression ausschlaggebend sind, konnten jedoch bislang (Stand Dezember 2015) trotz extrem umfangreicher Suche noch nicht gefunden werden.[38]
Als gesichert gilt, dass die Signalübertragung insbesondere der monoaminergen Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin beteiligt
ist. Auch weitere Signalsysteme sind involviert, und ihre gegenseitige Beeinflussung ist hochkomplex. Obwohl monaminerg beeinflussende Medikamente (Antidepressiva)
depressive Symptome verändern können, bleibt unklar, inwieweit diese Transmittersysteme ursächlich an der Entstehung von Depressionen beteiligt sind.[39][40] So spricht auch etwa ein Drittel der Patienten nicht oder nur unzureichend auf Medikamente an, die monoaminerge Systeme beeinflussen.[41] Die sogenannte Winterdepression
wird als eine unzureichende Anpassung an Jahresrhythmen und an die jahreszeitlichen Veränderungen des Tagesrhythmus aufgefasst. Daran beteiligt sind mehrere Faktoren, unter anderem die jahreszeitlichen Schwankungen bei der Bildung von Vitamin D durch Sonnenlicht.[42] Auch
chronische Infektionen
mit Krankheitserregern wie Streptokokken
(früher auch das Virus der Bornaschen Krankheit) stehen in Verdacht, Depressionen auslösen zu können.[43] Die depressiven Syndrome bei schweren Infektionen
oder anderen schweren Erkrankungen können nach heutigem Kenntnisstand durch Entzündungsprozesse und die dabei wirksamen Zytokine vermittelt und als „sickness behaviour“ bezeichnet werden.[44]
Depressive Syndrome können durch die Einnahme oder das Absetzen von Medikamenten oder psychotropen Substanzen verursacht
werden. Die Unterscheidung zwischen einer substanzinduzierten Depression und einer von Medikamenteneinnahme unabhängigen Depression kann schwierig sein. Grundlage der Unterscheidung ist eine durch einen Psychiater erhobene, ausführliche Krankengeschichte.[45]
Medikamente, die am häufigsten depressive Symptome verursachen können, sind Antikonvulsiva, Benzodiazepine (vor allem nach Entzug), Zytostatika,
Glucocorticoide, Interferone,
Antibiotika, Statine,
Neuroleptika, Retinoide,
Sexualhormone und Betablocker.
Als Medikamente mit potentiell depressionsauslösender Wirkung wurden z. B. Diazepam, Cimetidin, Amphotericin B und Barbiturate identifiziert.[46] Seit den 1980er Jahren hat die Verwendung von Anabolika im Kraftsport deutlich zugenommen. Da dies als Doping
gilt, ist die Bereitschaft von Sportlern gering, sich beim Absetzen einem Arzt anzuvertrauen. Das Absetzen der Anabolika führt jedoch zu Entzugserscheinungen, die ähnlich sind wie bei anderem Drogenentzug. Bei geringerer Dosierung ist der Abfall
des körpereigenen Steroidniveaus vergleichbar mit dem Rückgang, wie er bei älteren Menschen häufig anzutreffen ist. Nach einer Querschnittstudie von 2012 traten Depressionen bei Kraftsportlern mit einer Anabolika-Abhängigkeit doppelt so häufig auf wie bei Kraftsportlern mit Anabolika-Gebrauch aber ohne Abhängigkeit. Der Unterschied
war hoch signifikant.[47] Das Auftreten eines depressiven
Syndroms als Entzugserscheinungen
nach Drogenkonsum, ermöglicht es Forschern, diesen Effekt gezielt zu nutzen, um bei Tieren Depression und Möglichkeiten ihrer Behandlung zu untersuchen.[48]
Zum Stimmungstief der Mutter nach einer Geburt („Baby-Blues“) werden verschiedene mögliche neuroendokrinologische
Ursachen diskutiert.[49] Mit einer oft zitierten Häufigkeit
von ungefähr 10 bis 15 Prozent ist diese sogenannte postnatale Depression weit verbreitet. Allerdings
zeigte ein Vergleich von 143 Studien mit Daten aus 40 Staaten, dass die tatsächlichen Häufigkeiten im Bereich von 0 bis 60 % liegen, was mit großen sozioökonomischen Unterschieden in Verbindung gebracht wurde. So war die Häufigkeit
in Singapur, Malta, Malaysia, Österreich und Dänemark sehr gering, dagegen in Brasilien, Guyana, Costa Rica, Italien, Chile, Südafrika, Taiwan und Südkorea sehr hoch.[50] Die Symptome können Niedergeschlagenheit, häufiges Weinen, Angstsymptome, Grübeln über die Zukunft, Antriebsminderung, Schlafstörungen, körperliche Symptome und lebensmüde
Gedanken bis hin zur Suizidalität umfassen.
Nach einer groß angelegten britischen Studie sind etwa zehn Prozent aller Frauen von Depressionen während der Schwangerschaft betroffen. Nach einer anderen Studie sind es in der 32. Schwangerschaftswoche
13,5 Prozent. Die Symptome können extrem unterschiedlich sein. Hauptsymptom ist eine herabgesetzte Stimmung, wobei dies nicht Trauer im engeren Sinn sein muss, sondern von den betroffenen Patienten auch oft mit Begriffen wie „innere Leere“,
„Verzweiflung“ und „Gleichgültigkeit“ beschrieben wird. Psychosomatische körperliche Beschwerden sind häufig. Es dominieren negative Zukunftsaussichten und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Das Selbstwertgefühl
ist niedrig. Die depressive Symptomatik in der Schwangerschaft wird oft von schwangerschaftstypischen „Themen“ beeinflusst. Dies können etwa Befürchtungen in Bezug auf die Mutterrolle oder die Gesundheit des Kindes sein.[51][52]
Nach Seligmans Depressionsmodell werden Depressionen durch Gefühle der Hilflosigkeit bedingt, die auf unkontrollierbare,
aversive Ereignisse folgen. Entscheidend für die erlebte Kontrollierbarkeit von Ereignissen sind die Ursachen, auf die die Person ein Ereignis zurückführt.
Nach Seligman führt die Ursachenzuschreibung unangenehmer Ereignisse auf interne, globale und stabile Faktoren
zu Gefühlen der Hilflosigkeit, die wiederum zu Depressionen führen. Mittels Seligmans Modell lässt sich die hohe Komorbidität
zu Angststörungen erklären: Allen Angststörungen ist gemein, dass die Personen ihre Angst nicht oder sehr schlecht kontrollieren
können, was zu Hilflosigkeits- und im Verlauf der Störung auch zu Hoffnungslosigkeitserfahrungen führt. Diese wiederum sind, laut Seligman, ursächlich für die Entstehung von Depressionen.[53] Im Zentrum von Aaron T. Becks kognitiver
Theorie der Depression stehen kognitive Verzerrungen der Realität durch den Depressiven. Ursächlich dafür sind, laut Beck, negative kognitive Schemata oder Überzeugungen, die durch negative Lebenserfahrungen ausgelöst werden. Kognitive Schemata sind Muster, die sowohl Informationen beinhalten als auch zur Verarbeitung von Informationen benutzt werden und
somit einen Einfluss auf Aufmerksamkeit, Enkodierung und Bewertung von Informationen haben. Durch Benutzung dysfunktionaler Schemata kommt es zu kognitiven Verzerrungen der Realität, die im Falle der depressiven Person zu pessimistischen Sichtweisen von
sich selbst, der Welt und der Zukunft führen (negative Triade). Als typische kognitive Verzerrungen werden u. a. willkürliche Schlüsse, selektive Abstraktion, Übergeneralisierungen und Über- oder Untertreibungen angesehen. Die
kognitiven Verzerrungen verstärken rückwirkend die Schemata, was zu einer Verfestigung der Schemata führt. Unklar ist jedoch, ob kognitive Fehlinterpretationen, bedingt durch die Schemata, die Ursache der Depression darstellen oder ob durch
die Depression kognitive Fehlinterpretationen erst entstehen.[53] Die Vertreter des Konzepts der emotionalen Intelligenz stehen Aaron T. Beck nahe, gehen aber über ihn hinaus. Daniel Goleman sieht bei depressiven Teenagern zwei folgenreiche emotionale Defizite: Erstens zeigen diese, wie auch Beck beschreibt, eine Tendenz, Wahrnehmungen negativ, also depressionsverstärkend, zu interpretieren.
Zweitens fehlt ihnen aber auch ein solides Können in der Handhabung zwischenmenschlicher Beziehungen (Eltern, Peergroup, Sexualpartner). Kinder,
die depressive Neigungen haben, ziehen sich bereits in sehr jungem Alter zurück, weichen Sozialkontakten aus und verpassen dadurch soziales Lernen, das sie später nur noch schwer nachholen können.[54] Goleman beruft sich u. a. auf eine Studie, die Psychologen der University
of Oregon in den 1990er Jahren an einer High School in Oregon durchgeführt haben.[55] Nach dem Depressionsmodell von Lewinsohn, das auf der operanten Konditionierung der behavioristischen Lerntheorie beruht, entstehen Depressionen aufgrund einer zu geringen Rate an unmittelbar mit dem Verhalten verbundener Verstärkung. Nach Lewinsohn hängt die Menge positiver Verstärkung von der Anzahl verstärkender Ereignisse, von der Menge verfügbarer Verstärker und von den Verhaltensmöglichkeiten einer Person ab, sich so zu verhalten, dass Verstärkung möglich ist.[53] Im weiteren Verlauf kann es zu einer Depressionsspirale kommen, wenn Betroffene sich aufgrund der Interessenlosigkeit sozial zurückziehen und der Verlust an Verstärkern wiederum
zu einer weiteren Verschlechterung der Stimmung beiträgt.[56] Dieser Entwicklung müsse
dann durch Verhaltensänderungen im Sinne einer „Anti-Depressionsspirale“ entgegen gewirkt werden.[57] Das entsprechende Konzept ist die Grundlage für die Verhaltensaktivierung in der Behandlung.[58] Anhaltende Stressbelastungen wie etwa Armut können Depressionen auslösen.[59] Auch frühe Traumata können spätere Depression bedingen. Da die Hirnreifung bei Kindern noch nicht abgeschlossen ist, können traumatische Erlebnisse das Entstehen einer schweren
Depression im Erwachsenenalter begünstigen.[60] Brown und Harris (1978) berichteten
in ihrer als Klassiker geltenden Studie an Frauen aus sozialen Brennpunkten in London, dass Frauen ohne soziale Unterstützung
ein besonders hohes Risiko für Depressionen aufweisen. Viele weitere Studien haben seitdem dieses Ergebnis gestützt. Menschen mit einem kleinen und wenig unterstützenden sozialen Netzwerk werden besonders häufig depressiv. Gleichzeitig
haben Menschen, die erst einmal depressiv geworden sind, Schwierigkeiten, ihr soziales Netzwerk aufrechtzuerhalten. Sie sprechen langsamer und monotoner und halten weniger Augenkontakt, zudem sind sie weniger kompetent beim Lösen interpersonaler Probleme.[61] Der Medizinsoziologe Johannes
Siegrist hat auf der Grundlage umfangreicher empirischer Studien das Modell der Gratifikationskrise (verletzte soziale
Reziprozität) zur Erklärung des Auftretens zahlreicher Stresserkrankungen (wie Herz-/Kreislauf-Erkrankungen, Depression) vorgeschlagen. Gratifikationskrisen gelten als großer psychosozialer Stressfaktor. Sie können vor allem in
der Berufs- und Arbeitswelt, aber auch im privaten Alltag (z. B. in Partnerbeziehungen) als Folge eines erlebten Ungleichgewichtes von wechselseitigem Geben und Nehmen auftreten. Sie äußern sich in dem belastenden Gefühl, sich für
etwas engagiert eingesetzt oder verausgabt zu haben, ohne dass dies gebührend gesehen oder gewürdigt wurde. Oft sind solche Krisen mit dem Gefühl des Ausgenutztseins verbunden. In diesem Zusammenhang kann es zu heftigen negativen Emotionen kommen.
Dies wiederum kann bei einem Andauern auch zu einer Depression führen. Eine Depression bei einem Familienmitglied wirkt sich auf Kinder aller Altersgruppen aus. Elterliche Depression ist ein Risikofaktor für zahlreiche Probleme bei den Kindern, jedoch insbesondere für Depressionen. Viele Studien haben die negativen Folgen der
Interaktionsmuster zwischen depressiven Müttern und ihren Kindern belegt. Bei den Müttern wurde mehr Anspannung und weniger verspielte, wechselseitig belohnende Interaktion mit den Kindern beobachtet. Sie zeigten sich weniger empfänglich für
die Emotionen ihres Kindes und weniger bestätigend im Umgang mit dessen Erlebnissen. Außerdem boten sich den Kindern Gelegenheiten zum Beobachten depressiven Verhaltens und depressiven Affektes.[62]André
Green (1983) beschreibt in seinem Konzept der emotional „toten Mutter“, dass eine Depression die Folge davon sein könnte, dass in wichtigen Entwicklungsphasen eine emotionale Antwort der Eltern fehlte.[63][64] Zugleich
weist er auf die Gefahr hin, durch Schweigen während einer klassischen Psychoanalyse (Abstinenz) diese Beziehung zu wiederholen.[64] Karl Abraham (1912) beobachtete bei Depressionen eine Aggressionshemmung, was auch von Melanie Klein aufgenommen wurde.[64] Daraufhin wurde zunächst angenommen, diese Aggressionshemmung könnte ursächlich für
die Depression sein. Zum Teil wurde sowohl innerhalb als auch außerhalb der Psychoanalyse das Auftreten von Aggression als positives Zeichen interpretiert.[65] Stavros Mentzos geht jedoch davon aus, dass nicht eine sinnlose aggressive Entladung die Depression mildern kann, sondern eine die eigenen Interessen berücksichtigende Lösung eines inneren
Konflikts.[65]
Das Risiko einer Depression ist weltweit so beträchtlich, dass für manche eine evolutionäre Anpassung
(adaptive Funktion) wahrscheinlicher erscheint als ein isoliertes Krankheitsgeschehen. Eine früher vorteilhafte Reaktionsweise kann unter heutigen Lebensbedingungen unbedeutend sein, d. h. die jeweilige Veranlagung nur noch als Krankheit oder Störung
zu Tage treten:[66][67]
In der Diskussion ist ferner, ob Depressionen nicht auch heute noch eine Funktion haben, die evtl. zu wenig wahrgenommen wird.[68][8] Stevens und Price sehen aufgrund von Häufigkeit, Symptomatik und sozialem Kontext verschiedene psychische
Störungen als einstmals adaptive soziale Reaktionsweisen.[69] Depressionen werden
in diesem Zusammenhang als Unterordnungsreaktion auf eine Niederlage betrachtet.[70][71] Der zu beobachtende Anstieg der Krankheitslast durch Depressionen wird daher mit unseren Lebensbedingungen, speziell gesellschaftlichen Faktoren und Konkurrenz in Verbindung
gebracht.[72][73][11] Andere Autoren sehen den wesentlichen adaptiven Aspekt in der Handlungshemmung, die mit Depressionen verbunden
ist, da diese unter verschiedensten Umweltbedingungen funktional sein kann.[74] Diese weitere
Interpretation beruft sich darauf, dass Depressionen ganz unterschiedliche Auslöser haben, d. h. als psychische Reaktion, als Reaktion auf körperliche Erkrankung sowie als Lichtmangelreaktion auftreten können. Die evolutionsbiologischen
Theorien zur Depressionsentstehung werden wissenschaftlich diskutiert, sind aber bisher nicht in Konzepten für die Prävention und/oder Therapie von Depressionen berücksichtigt worden. Depressionen können bei der Mehrheit der Patienten erfolgreich behandelt werden. In Frage kommen eine medikamentöse Behandlung mit
Antidepressiva, Psychotherapie
oder eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung, die zunehmend auch durch Online-Therapieprogramme ergänzt
und unterstützt wird. Weitere Therapieverfahren, z. B. Elektrokonvulsionstherapie, Lichttherapie oder Wachtherapie, Sport- und Bewegungstherapie ergänzen die Behandlungsmöglichkeiten. Die aktuelle nationale Behandlungsleitlinie wertet bei mittelschweren bis schweren depressiven Perioden Antidepressiva als gleichwertig mit einer Psychotherapie. Bei schweren
Depressionen wird eine Kombination von Psychotherapie und antidepressiver Medikation empfohlen.[27]
Es gibt verschiedene psychotherapeutische Verfahren. Durchgeführt wird die Psychotherapie von Ärzten mit entsprechender Zusatzqualifikation (ärztlichen Psychotherapeuten), von psychologischen Psychotherapeuten, von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten,
von Heilpraktikern oder von Heilpraktikern für Psychotherapie gemäß
§ 1 Heilpraktikergesetz (HeilprG). Häufig erfolgt parallel dazu die Gabe von Antidepressiva durch den Hausarzt oder
Psychiater. Eine Kombination von Psychotherapie und medikamentöser Behandlung kann von Ärzten (i. d. R. von Fachärzten für Psychiatrie oder Psychosomatik, teilweise auch von Allgemeinmedizinern und anderen Fachrichtungen)
mit psychotherapeutischer Weiterbildung, oder durch eine Kooperation von Ärzten und Psychotherapeuten ambulant oder in psychiatrischen
Kliniken bzw. Fachkrankenhäusern durchgeführt werden.
Anzahl stationärer Behandlungen an wiederholter (rezidivierender) Depression 2000–2010 (Deutschland) Bei hohem Leidensdruck und einem nicht zufriedenstellenden Ansprechen auf ambulante Therapie
und Psychopharmaka – insbesondere jedoch bei drohendem Suizid – ist eine Behandlung in einer psychiatrischen Klinik in Erwägung zu ziehen. Eine solche Behandlung bietet dem Patienten eine Tagesstruktur und die Möglichkeit intensiverer psychotherapeutischer und medizinischer
Maßnahmen, auch solche, die ambulant nicht abrechenbar und somit insbesondere in der kassenärztlichen Versorgung nicht
möglich sind. Häufig ist auch die medikamentöse Einstellung, z. B. bei Lithiumtherapie, ein Grund für einen Krankenhausaufenthalt.
Dabei ist es auch möglich, sich in einer Tagesklinik tagsüber intensiv behandeln zu lassen, die Nacht aber zu Hause zu verbringen. Psychiatrische
Kliniken haben in der Regel offene und geschlossene Stationen, wobei Patienten auch auf geschlossenen
Stationen in der Regel Ausgang haben. Stationäre Depressionsbehandlungen sind in den letzten Jahren sehr viel häufiger geworden, als extremes Beispiel ist etwa die Häufigkeit von Krankenhausbehandlungen aufgrund wiederholter (rezidivierender) Depressionen zwischen 2001 und 2010 auf mehr als das 2,8fache angestiegen.[75] Der Anstieg der Zahl an Krankenhausbehandlungen spiegelt jedoch nicht den der Behandlungstage wider, da sich die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus gleichzeitig verkürzte. Depressionen
verursachten nach Daten der Barmer GEK im Jahre 2010 über sechs Prozent aller Krankenhaustage und liegen damit mit großem
Abstand an der Spitze aller Diagnosen. Die Erfolgsraten sind jedoch ernüchternd, so sind mehr als die Hälfte der Entlassenen auch ein Jahr nach Entlassung noch depressiv.[4]
Zur Behandlung der Depression kann ein breites Spektrum psychotherapeutischer
Verfahren wirksam eingesetzt werden (aktuelle Übersicht über evaluierte Therapieverfahren bei Hautzinger, 2008[76]). Hierzu gehören die kognitive Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte
Psychotherapie und die analytische Psychotherapie.[77] Auch die Gesprächspsychotherapie
sowie die Gestalttherapie können zur Behandlung eingesetzt werden. Neuere integrative Ansätze zur Behandlung chronischer bzw.
rezidivierender Depressionen sind das Cognitive Behavioral Analysis System
of Psychotherapy (CBASP) sowie die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (englisch
Mindfulness Based Cognitive Therapy, MBCT).[78] Seit einigen Jahren kommen auch
zunehmend Online-Therapieprogramme (Onlineberatung)
zum Einsatz[79] (z. B. deprexis24[80] oder iFightDepression.[81]).
Die verhaltenstherapeutische Behandlung der Depression wird heutzutage auf der Grundlage der Kognitiven Verhaltenstherapie durchgeführt. In der Therapie sollen die depressionsauslösenden Denkmuster und Verhaltensmuster herausgearbeitet werden, um sie anschließend Schritt für
Schritt zu verändern. Zusätzlich wird der Patient zu größerer Aktivität motiviert, um seine persönlichen Verstärkermechanismen wieder zu aktivieren und um die erwiesen positiven Wirkungen größerer körperlicher
Aktivität auf die Stimmung zu nutzen. In der tiefenpsychologischen
Behandlung sollen durch die Aufdeckung und Bearbeitung unbewusster psychischer Konflikte und verdrängter Erfahrungen die zugrundeliegenden Ursachen für die Erkrankung bewusst gemacht werden. Die im Laufe der Therapie für den Patienten wahrnehmbar
werdenden zu Grunde liegenden Motive, Gefühle und Bedürfnisse sollen dadurch in das aktuelle Leben integrierbar werden. Hinsichtlich der Wirksamkeit verschiedener Psychotherapien lassen sich keine pauschalen Empfehlungen geben, sodass hier
die Präferenzen, Hauptbeschwerden und auslösende oder aktuell belastende Faktoren des Patienten bei der Auswahl des Therapeutischen Verfahrens berücksichtigt werden sollten.[82] Auch die aktuelle nationale Behandlungsleitlinie beinhaltet keine Empfehlung zu spezifischen Psychotherapieverfahren, sondern verweist auf Evidenztabellen mit unterschiedlichen Forschungsergebnissen.[27] Die Wirksamkeit von Antidepressiva ist stark abhängig vom Schweregrad der Erkrankung. Während bei mildem und mäßigem Schweregrad die Wirksamkeit fehlend oder gering ist, ist sie bei schwerer Depression deutlich.[83] Bei den schwersten Formen profitieren bis zu 30 % der behandelten Patienten über
die Placeborate hinaus von Antidepressiva.[27] Metastudien weisen darauf hin, dass
antidepressive Medikamente in ihrer Wirksamkeit von Patient zu Patient große Unterschiede zeigen und in manchen Fällen eine Kombination verschiedener Medikamente Vorteile haben kann.[84][85]
In der Wahrnehmung der (Fach-) Öffentlichkeit wird die Wirksamkeit von Antidepressiva eher überschätzt, da Studien, in denen das Antidepressivum besser als Placebo abschnitt, sehr viel häufiger in Fachjournalen publiziert werden, als solche,
in denen das Antidepressivum Placebo nicht überlegen war.[27] Unerwünschte
Nebenwirkungen sind seit Einführung der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI, siehe unten) in den 80er Jahren deutlich zurückgegangen, jedoch weiterhin zu beachten.[86] Die Therapietreue (Compliance) der Patienten bei der Anwendung
der Medikamente ist wie bei anderen psychiatrischen Medikamenten relativ gering. Nur etwa die Hälfte bleibt in der akuten Phase dabei, und hiervon wiederum nur etwa die Hälfte auch in der Nachfolgephase.[87] Verschiedene Strategien zur Verbesserung dieser Situation wurden wissenschaftlich verglichen. Aufklärende Gespräche
alleine waren nicht effektiv. Umfangreiche begleitende Maßnahmen, z. B. auch über Telefon, waren hier erforderlich.[88] Die bekanntesten Antidepressiva lassen sich in drei Gruppen einteilen (siehe unten). Weitere Antidepressiva einschließlich Phytopharmaka wie Johanniskraut finden sich im Artikel Antidepressiva. Im Falle schwerer Depressionen ohne Ansprechen auf einzelne Antidepressiva werden teilweise Augmentationen mit weiteren Antidepressiva, Neuroleptika, Stimulanzien oder Phasenprophylaktika
verordnet.[89] Neuere Studien weisen auf eine geeignete Einsatzmöglichkeit von Ketamin, aufgrund seiner schnellen therapeutischen Wirkung, für die Akutbehandlung von therapieresistenten und vor allem suizidgefährdeten depressiven
Patienten hin (siehe unten).
Diese Wirkstoffe hemmen die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin in die Präsynapse. Direkte Wirkungen auf andere Neurotransmitter sind bei diesen selektiven Wirkstoffen deutlich schwächer ausgeprägt als bei trizyklischen Antidepressiva. Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) werden bei Depressionen heute am häufigsten eingesetzt. Sie wirken ab einer Einnahmedauer von
zwei bis drei Wochen. Sie hemmen (weitgehend) selektiv die Wiederaufnahme von Serotonin an der präsynaptischen Membran, wodurch eine „relative“ Vermehrung des Botenstoffs Serotonin bei der Signalübertragung erzielt wird. Ähnlich
wirken Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), welche zusätzlich
die Wiederaufnahme von Noradrenalin in die Präsynapse vermindern. Von vergleichbarem Wirkmechanismus sind Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer
und selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, welche die Wiederaufnahme von Noradrenalin, bzw. Noradrenalin und Dopamin hemmen. SSRI und SNRI (z. B. Reboxetin)
unterscheiden sich in ihrem Nebenwirkungsprofil.[90] Die
Pathogenese von Depressionen, aber auch von Manien und Obsessionen (Zwangshandlungen), wird von Forschern u. a. mit serotonerg vernetzten
Neuronen in Verbindung gebracht. Daher werden SSRI und SNRI auch gegen (komorbide) Zwangs- und Angstzustände eingesetzt, oft mit Erfolg. Da Serotonin auch bei anderen neural vermittelten Prozessen im ganzen Körper eine Rolle spielt, wie zum Beispiel
bei Verdauung und Gerinnung des Blutes, resultieren daraus auch die typischen Nebenwirkungen, durch Interaktion mit anderen neural gesteuerten Prozessen. SSRIs werden seit ca. 1986 eingesetzt; seit 1990 sind sie die am häufigsten verschriebene
Klasse von Antidepressiva. Wegen des nebenwirkungsärmeren Profils, vor allem in Bezug auf Kreislauf und Herz, sind sie sehr beliebt. Relativ häufige Nebenwirkungen sind jedoch sexuelle Dysfunktion und/oder Anorgasmie.[86] Diese bilden sich zwar einige Wochen nach Absetzen oder Wechsel des Medikaments fast immer vollständig zurück,
können jedoch zu zusätzlichen (Beziehungs-)Problemen führen.
Die trizyklischen Antidepressiva (z. B. Trimipramin, Amitriptylin) wurden bis zum Aufkommen der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer am häufigsten
verschrieben. Es handelt sich um eine relativ große Gruppe von Substanzen, die sich in ihren Wirkungen und vor allem in ihren Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Klassen von Antidepressiva markant unterscheiden und daher fundiertes Wissen erfordern.[91] Hauptnachteil sind deren ausgeprägte auftretende Nebenwirkungen
(z. B. Mundtrockenheit, Verstopfung, Müdigkeit, Muskelzittern und Blutdruckabfall), wobei es besser verträgliche Ausnahmen gibt (z. B. Amoxapin,
Maprotilin). Bei älteren und bei durch Vorerkrankungen geschwächten Menschen ist daher Vorsicht geboten. Zudem wirken einige Trizyklika
häufig zunächst antriebssteigernd und erst danach stimmungsaufhellend, wodurch es zu einem höheren Suizidrisiko in den ersten Wochen der Einnahme kommen kann. In den USA müssen aber auch SSRI einen diesbezüglichen Warnhinweis tragen.
MAO-Hemmer wirken durch Blockieren der Monoaminoxidase-Enzyme. Diese Enzyme spalten Monoamine wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin – also Neurotransmitter
(Botenstoffe zwischen den Nervenzellen im Gehirn) – und verringern dadurch deren Verfügbarkeit zur Signalübertragung im Gehirn. Die MAO-Hemmer hemmen diese Enzyme, wodurch sich die Konzentration der Monoamine und damit der Neurotransmitter
erhöht und die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen verstärkt wird. MAO-Hemmer werden in selektiv oder nichtselektiv sowie reversibel oder irreversibel unterteilt. Selektive Inhibitoren der MAO-A (z. B. Moclobemid, reversibel) hemmen nur den Typ A der Monoaminoxidase und zeigen eine antidepressive Wirkung. Sie sind im Allgemeinen gut verträglich, unter anderem mit
deutlich weniger Störungen bei Verdauungs- und Sexualfunktionen als bei SSRI.[92]
Selektiv MAO-B-hemmende Wirkstoffe (z. B. Selegilin, irreversibel) werden in erster Linie in der Parkinson-Behandlung eingesetzt. Nichtselektive MAO-Hemmer (z. B. Tranylcypromin, irreversibel) hemmen
MAO-A und MAO-B und sind von hoher Wirksamkeit in der Behandlung von (therapieresistenten) Depressionen und Angststörungen. Irreversible MAO-Hemmer binden die MAO-A bzw. MAO-B dauerhaft. Um die Wirkung aufzuheben, muss das betroffene Enzym vom Körper
erst neu gebildet werden, was Wochen dauern kann. Reversibilität besagt, dass das Medikament nur schwach an die MAO bindet und MAO-A bzw. MAO-B spätestens mit dem Abbau des Medikaments wieder intakt freigibt. Monoaminoxidasehemmer gelten als
gut wirksam. Allerdings müssen Patienten, die nichtselektive, irreversible MAO-Hemmer einnehmen, eine strenge, tyraminarme Diät halten. In Verbindung
mit dem Verzehr bestimmter Lebensmittel, wie z. B. Käse und Nüssen, kann die Einnahme von nichtselektiven irreversiblen MAO-Hemmern zu einem gefährlichen Blutdruckanstieg führen. Bei depressiven Notfällen (Suizidgefährdung) bestätigten mehrere Studien eine schnelle antidepressive Wirkung von Ketamin,
einem Antagonisten am Glutamat-NMDA-Rezeptorkomplex.[93][94][95][96]
Studienergebnisse zeigten bei einmaliger Gabe eine signifikante Besserung über einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen.[97] Für Ketamin besteht keine Arzneimittelzulassung zur Behandlung
von Depressionen, es gibt jedoch Empfehlungen zur niedrigdosierten Off-label-Verordnung, welche im Gegensatz zum Gebrauch als Anästhetikum oder Dissoziativum kaum Nebenwirkungen
zeigt.[98][99]
Die pharmakologische Wirkung bei Depressionen wird durch (2R,6R)-Hydroxynorketamin, einem Metaboliten des Ketamins ausgelöst.[100]
Im Gegensatz zu Ketamin und Norketamin ist Hydroxynorketamin als Anästhetikum und Dissoziativum inaktiv und produziert keine Rauschzustände.[101][102] Im März 2019 hat die Food and Drug Administration ein Nasenspray mit dem Ketamin-Derivat Esketamin zur Behandlung von behandlungsresistenten Depressionen zugelassen.[103] Nachdem mehrere kleinere Studien Psilocybin-assistierte
Psychotherapie in der Behandlung von Depressionen untersuchten[104][105], hat die Food and Drug Administration
2018 eine große Phase 2 Studie über Psilocybin in der Therapie von behandlungsresistenten Depressionen genehmigt und den Status einer Breakthrough Therapy verliehen.[106][107] Bei Patienten, deren Depression sich nicht durch Pharmakotherapie verbessert, und die bereit sind, mögliche Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen,
kann eine Kombination von Antidepressiva sinnvoll sein. Allerdings wird die Kombination nur für ganz bestimmte Wirkstoffe empfohlen. Dies gilt für die Kombinationen von Mianserin oder Mirtazapin einerseits mit einem SSRI oder einem trizyklischen Antidepressivum andererseits.[27] Die aktuelle Behandlungsleitlinie empfiehlt Lichttherapie
bei Depressionen, die einem saisonalen Muster folgen.[27] Etwa 60–90 %
der Patienten profitierten von einer Lichttherapie nach etwa zwei bis drei Wochen.[108]
Nach früheren Ergebnissen war Lichttherapie ebenfalls bei nicht jahreszeitlich bedingten Depressionen wirksam.[109] Dabei sollten die Patienten – um einen Effekt zu gewährleisten – täglich für mindestens 30 Minuten in eine spezielle Lichtquelle schauen, die weißes Vollspektrumlicht von mindestens 10.000 lux abgibt.[110] Es werden 10.000 Lux für 30–40 Minuten als anfängliche Dosis empfohlen, wenigstens zwei bis vier Wochen jeden Morgen und zwar so rasch wie möglich nach dem Erwachen.[111] Nach einer von der Cochrane Collaboration veröffentlichten systematischen Übersichtsarbeit
von 2015 können keine Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit von Lichttherapie zur Prävention (Verhütung) neuer depressiver
Episoden gezogen werden.[112] Solche saisonalen Depressionen
(als Untergruppe aller saisonal auftretender Störungen, zusammengefasst englisch Seasonal Affective Disorders – SAD)
stehen in Korrelation mit einem circadianen
Rhythmus (Tageslängenabhängigkeit) des Menschen. Die Organismen auf der Erde haben sich an Tageslängenwechsel
angepasst und entsprechende circadiane innere Uhren entwickelt, um Aktivitäten, Vermehrung und Stoffwechselvorgänge auf
biologisch vorteilhafte Zeiten zu legen.[113] Es ist dabei noch
nicht geklärt ist, ob ein gestörtes circadianes System die Depression verursacht oder die Depression Ursache des geänderten circadianen Systems ist oder andere Kombinationen verantwortlich sind. Zumindest könnten Einflüsse auf dieses
circadiane System auch zu Therapien gegen saisonale Depressionen führen. Beispielsweise lassen sich mit Schlafentzug oder Lithium solche circadianen Systeme beeinflussen und auch Depressionen behandeln.[113][114][115] Insbesondere bei schweren und über lange Zeit gegen medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung resistenten Depressionen kommen
gerade in jüngerer Zeit wieder stärker Stimulationsverfahren zum Einsatz, deren Wirkmechanismen jedoch noch weitgehend unklar sind. Das häufigste diesbezüglich eingesetzte Verfahren ist die Elektrokonvulsionstherapie (EKT). In der Epilepsie-Behandlung
war aufgefallen, dass bei Patienten, die gleichzeitig an einer Depression litten, nach einem epileptischen Anfall auch eine Verbesserung der Stimmung auftrat. Die Elektrokonvulsionstherapie wird in Narkose durchgeführt und stellt dann, wenn Medikamente
und Psychotherapie bei schweren Depressionen nicht wirken, eine mögliche Alternative dar. Signifikante Kurzzeiteffekte konnten nachgewiesen werden.[116] Im Einzelnen noch ungeklärte Wirkungen bei schwerer Depression werden auch mit einem Rückgang der Neigung zum Suizid und verminderten Selbsttötungen in Zusammenhang gebracht.[117][118] Es gibt Hinweise auf die Beeinflussung neuroendokrinologischer Mechanismen.[119][120] Im Versuchsstadium befinden sich weitere Stimulationsverfahren wie die Magnetkrampftherapie (ein Krampf wird mittels starker
Magnetfelder induziert),[121] die Vagusnerv-Stimulation
(ein Schrittmacher sendet elektrische Impulse an den Vagusnerv; in den USA als Therapieverfahren zugelassen)[122][123],
dieTranskranielle Magnetstimulation (Gehirnstimulation durch ein Magnetfeld außerhalb des Kopfes)[124][125][126], die Transkranielle Gleichstromapplikation (tDCS) (schwachelektische Gehirnstimulation durch den
Schädelknochen).[127] Nachweise zur Wirksamkeit dieser
Verfahren liegen bislang (Stand Dezember 2015) noch nicht vor. Eine Form der unterstützenden
therapeutischen Maßnahmen ist die Sporttherapie. Wenn Sport im gesellschaftlichen Zusammenhang stattfindet, erleichtert er eine Wiederaufnahme
zwischenmenschlicher Kontakte. Ein weiterer Effekt der körperlichen Betätigung ist das gesteigerte Selbstwertgefühl
und die Ausschüttung von Endorphinen. Positive Effekte des Joggings bei Depressionen sind empirisch durch Studien nachgewiesen; 1976 wurde das erste Buch
unter dem Titel The joy of Running zu diesem Thema veröffentlicht.[128]
Krafttraining beispielsweise konnte in einer Studie für alte Patienten (70+ Jahre) als wirksam erwiesen werden. Nach 10 Wochen angeleiteten Trainings war ein Rückgang der depressiven Symptome im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (die nicht trainiert,
sondern angeleitet gelesen hatte) feststellbar. Der Effekt war für einen Teil der Testpersonen auch zwei Jahre nach Ende des geführten Trainings noch nachweisbar.[129] Es existiert eine Vielzahl von methodisch robusten Studien über den Nutzen von Sport und Bewegung bei Depression. Diese zeigen beispielsweise, dass Sport (unter Anleitung, zuhause)
gegen Depression gleich wirksam ist wie eine medikamentöse Therapie (Sertralin) oder Placebo-Medikation.[130][131] Eine Metastudie
von 2013 bewertet den Effekt zurückhaltender, unterstreicht aber den präventiven Effekt, da „moderate Bewegung im aeroben Bereich von mindestens 150 Minuten pro Woche […] mit einem merklich geringeren Risiko für die Entwicklung
einer Depression in Zusammenhang“ steht.[132] Ist das Ziel nicht die Prävention,
sondern die Behandlung der Depression, ist laut einer Metastudie von 2019 einen Monat lang jede Woche dreimal 45 min Sport notwendig für eine Stimmungsverbesserung.[133]
Wissenschaftliche Studien lassen auf die besondere Bedeutung von Eicosapentaensäure (EPA) zur Stimmungsaufhellung
und günstigen Einflussnahme auf Minderung von Depressionen schließen.[134][135][136] EPA ist eine mehrfach ungesättigte Fettsäure
aus der Klasse der Omega-3-Fettsäuren. Der Wirkungsmechanismus der Omega-3-Fettsäure ist noch nicht aufgeklärt,
jedoch wird eine Interaktion der Fettsäure mit dem Neurotransmitter Serotonin vermutet: Ein Mangel an Serotonin wird häufig
von einem Mangel an Omega-3-Fettsäure begleitet, umgekehrt scheint die Gabe der Fettsäure zur Erhöhung des Serotoninspiegels zu führen. Die orthomolekulare Medizin versucht außerdem über die Aminosäuren Tyrosin, Phenylalanin und Tryptophan bzw. 5-HTP (Oxitriptan) Depressionen günstig zu beeinflussen. Diese Aminosäuren werden im Körper in Noradrenalin, Dopamin und Serotonin umgewandelt. Die Erhöhung des Spiegels dieser Neurotransmitter im Gehirn
kann stimmungsaufhellend sein. Es ist sicher nicht falsch, auch nach Abklingen der depressiven Beschwerden auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung zu achten. Dabei spielt vor allem ein gleichmäßiger Blutzuckerspiegel durch regelmäßige
Mahlzeiten eine Rolle, ebenso wie ein maßvoller Umgang mit Genussmitteln wie Kaffee, Nikotin und Alkohol dazu beitragen kann, psychisch stabil zu bleiben. Depression wirkt sich auf die Qualität des Schlafes aus (s. o.). Umgekehrt gilt, dass eine Verbesserung des Schlafes (Schlafhygiene) sich bessernd auf eine Depression auswirken kann.[137]
Dazu gehören regelmäßige Zu-Bett-geh-Zeiten, der Verzicht auf Monitor-Licht am Abend, angepasste Beleuchtung, Abdunklung der Schlafräume und weitere Maßnahmen. Partieller (teilweiser) Schlafentzug
in der zweiten Nachthälfte oder gar vollständiger Schlafentzug in einer Nacht ist die einzige antidepressive Therapie mit positiven Wirkungen bei ca. 60 % der Patienten noch am gleichen Tag. Der antidepressive Effekt ist jedoch selten anhaltend.
Meistens kehren die depressiven Symptome bereits nach der nächsten Erholungsnacht wieder. Bis zu 15 % der Patienten in klinischen Studien zeigten jedoch eine anhaltende Verbesserung nach völligem Schlafentzug. Die nationale Behandlungsleitlinie
empfiehlt, dass die Wachtherapie auf Grund ihrer relativ leichten Umsetzbarkeit, Nichtinvasivität, Kosteneffizienz und raschen Wirkung in bestimmten Fällen als ergänzendes Therapieelement erwogen werden sollte.[27]
Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2015 zeigte positive Effekte von Meditationstechniken.[138] Eine ähnliche Arbeit von 2014 beschrieb kleine bis mäßige Wirkungen, wobei außerdem festgestellt wurde, dass es keine Belege dafür gab, dass Meditation effektiver war als andere
gezielte Aktivitäten, wie zum Beispiel Sport oder progressive Muskelentspannung.[139] Die Wirksamkeit der Achtsamkeitsbasierten Kognitiven Therapie (MBCT) zur Rückfallprävention
von Depressionen ist durch aktuelle Metaanalysen[140][141] ausreichend belegt und wurde deshalb als Therapieempfehlung in die S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression aufgenommen.[27]
Durch Übungen zur Achtsamkeit (mindfulness) wird die Aktivierung depressionsfördernder Gedanken, Gefühle
und Körperempfindungen rechtzeitig erkannt, so dass die Betroffenen sich bewusst hilfreichen Maßnahmen zuwenden können, die einen Rückfall verhindern.[27]
In Anlehnung an die Facial-Feedback-Hypothese kam 2012 die Vermutung auf, eine Verminderung der vertikalen Hautfalten
zwischen den Augenbrauen (Glabella-Region) durch Botox-Injektion
sei wirksam gegen Depression. Dies konnte wissenschaftlich jedoch nicht bestätigt werden.[142] Depressive Episoden klingen oft im Laufe der Zeit ab, unabhängig davon, ob sie behandelt werden oder nicht.[143] Ambulante Patienten auf einer Warteliste zeigen innerhalb weniger Monate eine 10–15%ige Reduktion der Symptome, wobei
etwa 20 % nicht mehr die Kriterien für eine depressive Störung erfüllen. Die mediane Dauer einer Episode wurde auf 23 Wochen geschätzt, wobei in den ersten drei Monaten die Erholungsrate am höchsten war.[144] Die meisten behandelten Patienten berichten über Restsymptome trotz scheinbar erfolgreicher
Behandlung. Restsymptome, die bei vorübergehendem oder dauerhaftem Nachlassen der Erkrankung auftreten, haben einen starken prognostischen Wert. Es scheint einen Zusammenhang zwischen diesen Restsymptomen und Vorzeichen einer erneuten Erkrankung zu geben. Es wird daher für behandelnde Ärzte empfohlen, dass das Konzept der Genesung auch psychisches Wohlbefinden beinhalten sollte.[145]
Man geht davon aus, dass rund die Hälfte der Menschen, die einen Suizid begehen, an einer Depression gelitten haben. Im Jahre 2010 verübten
in Deutschland rund 7000 Menschen mit Depression Suizid.[146] Bei der Depression handelt
es sich daher um eine sehr ernste Störung, die umfassender Therapie bedarf.[147][148] Durch häufig ungesünderen Lebensstil leiden Patienten mit Depressionen vermehrt an Folgen von Rauchen, Bewegungsmangel, Ernährungsfehlern und Übergewicht. Zudem gibt es Hinweise darauf,
dass unregelmäßige Medikamenteneinnahmen auch ein kardiovaskuläres Risiko darstellen, wodurch eine höhere Anfälligkeit für Schlaganfälle besteht. Dies trifft vor allem für Frauen im mittleren Alter zu.[149] Die Depression selbst ist ein Risikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit.[150] Als Ursachen hierfür kommen Einflüsse der Depression auf die Steuerung der Hormonregulation in der Nebenniere, Einflüsse auf Immunsystem und Hämostase, aber auch ein ungesünderer Lebensstil oder Nebenwirkungen von Antidepressiva in Frage.[151] Bei einem Patienten mit koronarer Herzkrankheit erhöht die Depression wiederum das Risiko auf einen Myokardinfarkt
auf das drei- bis vierfache.[152] Weiterhin ist das Risiko eines tödlichen Herzinfarkts
erhöht.[153] Studien zeigen, dass trotzdem bei Patienten
mit Myokardinfarkt die Depression vielfach unbehandelt bleibt.[154] Eine Behandlung der
Depression würde günstige Effekte auf die Heilungsaussichten der Patienten haben.[155]
Dem Staat und
der Wirtschaft entstehen jährlich Kosten von bis zu 21,9 Milliarden Euro für die Behandlung; hinzu kommen Fehlzeiten und verminderte Produktivität betroffener Mitarbeiter. Knapp 25 % aller Fehltage im Beruf gehen auf das Konto von Depressionen.[156] Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen hat das Gesundheitssystem seit den 1990er Jahren verschiedene Modellprojekte initiiert. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat den „Schutz der Gesundheit bei arbeitsbedingter
psychischer Belastung“ zu einem Hauptziel der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie ab 2013 erhoben. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat 2012 das Forschungsprojekt Deprexis zu den Möglichkeiten der Online-Therapie in Auftrag gegeben, was möglicherweise einen Weg darstellen könnte, um Versorgungslücken
und lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz zu überbrücken. Die Behandlung depressiver Erkrankungen wurde 2006 als Gesundheitsziel
verankert. Zu den Teilzielen gehören Aufklärung, Prävention und Rehabilitation. Gesetzliche Krankenkassen sind verpflichtet, gemeinnützige Organisationen im Bereich Selbsthilfe zu fördern, im Jahr 2011 betrug diese Förderung
insgesamt rund eine halbe Million Euro.
Vereine, gemeinnützige GmbH (gGmbH) und Stiftungen befassen sich mit dem Thema Depression. Die Angebote setzen
an folgenden Punkten an: - Aufklärung, Interessensvertretung und Vernetzung – hierfür setzen sich beispielsweise das Deutsche Bündnis gegen Depression e. V. oder die Deutsche Depressionsliga ein. 2011 führten diese Organisationen zusammen mit der Stiftung Deutsche Depressionshilfe den Patientenkongress Depression ein. Patientenkongresse gibt es für unterschiedlichste Themen, beispielsweise auch Demenz oder Krebs – Ziele sind in der Regel Information und Austausch zwischen
Patienten, Wissenschaftlern und Interessensvertretern.
- Individuelle Beratung – wird u. a. von lokalen Bündnissen gegen Depression oder Selbsthilfeorganisationen angeboten. Betroffene und Angehörige können sich bei diesen Organisationen informieren, sich mit Menschen in ähnlichen Situationen austauschen oder auch in Akutsituationen um Hilfe bitten, beispielsweise
bei der Telefonseelsorge oder dem SeeleFon.
- Selbsthilfe – Selbsthilfegruppen sind kein Ersatz für Therapien, aber sie können eine begleitende Hilfe darstellen. Selbsthilfegruppen
können als lebenslange Begleitung und Rückzugsorte dienen. Einige Gruppen erwarten keine Voranmeldung, so dass Betroffene spontan bei akuten depressiven Phasen Hilfe suchen können. Als niedrigschwelliges Angebot haben sich Selbsthilfegruppen
im ambulanten Bereich etabliert und leisten einen wichtigen Beitrag. In Krankenhäusern und Reha-Kliniken helfen sie Betroffenen, ihre Eigenverantwortung zu stärken und Selbstvertrauen zu erlangen.
Einführungen - Michael Bauer, Anne Berghöfer, Mazda Adli (Hrsg.): Akute und therapieresistente Depressionen. Pharmakotherapie – Psychotherapie – Innovationen 2., vollständig überarbeitete
und erweiterte Auflage. Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-40617-4.
- Tom Bschor (Hrsg.): Behandlungsmanual
therapieresistente Depression: Pharmakotherapie – somatische Therapieverfahren – Psychotherapie. Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-17-019465-6.
- Martin Hautzinger: Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen.
7. Auflage. Beltz, Weinheim 2013, ISBN 978-3-621-28075-4.
- Rainer Tölle, Klaus Windgassen: Psychiatrie: Einschließlich Psychotherapie. 16. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2011, ISBN 978-3-642-20416-6.
Psychoanalytische Schriften Ratgeberliteratur - Barbara Bojack: Depressionen im Alter: ein Ratgeber für Angehörige. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2003, ISBN 3-88414-359-X.
- Depression erkennen und behandeln. Informationsbroschüre für Patienten und Angehörige, herausgegeben vom Bundesverband für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz
– Info Gesundheit. medcom, Bonn 2013, ISBN 978-3-931281-50-2 (Kostenlose Publikation, online bestellbar[157])
- Pia Fuhrmann, Alexander von Gontard: Depression und Angst bei Klein- und
Vorschulkindern: Ein Ratgeber für Eltern und Erzieher. Hogrefe, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8017-2627-0.
- Gunter Groen, Wolfgang Ihle, Maria Elisabeth Ahle, Franz Petermann: Ratgeber Traurigkeit, Rückzug, Depression: Informationen
für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher. Hogrefe, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8017-2382-8.
- Ulrich Hegerl, Svenja Niescken: Depressionen bewältigen: Die Lebensfreude wiederfinden. 3. Auflage. TRIAS, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-8304-6781-6.
- Ruedi Josuran, Verena Hoehne, Daniel Hell: Mittendrin und nicht dabei: Mit Depressionen leben lernen. Ullstein-Taschenbuch, Berlin 2002, ISBN 3-548-36428-4.
- Anke Rohde: Postnatale Depressionen und andere psychische Probleme: Ein Ratgeber für betroffene Frauen und Angehörige. Kohlhammer, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-17-022116-1.
- Larissa Wolkenstein, Martin Hautzinger: Ratgeber Chronische Depression. Informationen für Betroffene und Angehörige. Hogrefe, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8444-2516-1.
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Schlafapnoe-Syndrom
Schlafapnoe-Syndrom Zur
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Klassifikation nach ICD-10 |
G47.3 | Schlafapnoe | G47.30 | Zentrales Schlafapnoe-Syndrom | G47.31 | Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom | G47.38 | Sonstige Schlafapnoe | G47.39 |
Schlafapnoe, nicht näher bezeichnet | ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Das Schlafapnoe-Syndrom (SAS), kurz auch Schlafapnoe, ist ein Beschwerdebild, das durch periodische Atemstörungen (Atemstillstände (Apnoen) und/oder Minderbelüftung der Lunge (alveoläre Hypoventilation))[1] während des Schlafs verursacht wird. Es ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit bis hin zum Einschlafzwang (Sekundenschlaf) sowie einer Reihe weiterer Symptome und Folgeerkrankungen. Die vom Duden vorgeschlagene Aussprache ist dreisilbig „A-pno-e“ ([aˈpnoːə]) (zu griechisch ἄπνοια apnoia „Nicht-Atmung“), während viele Laien wie auch Ärzte den Begriff zu „Apnö“ ([apˈnøː]) eindeutschen. Die Atemstillstände führen zu einer verringerten Sauerstoffversorgung bei gleichzeitigem Anstieg des Kohlendioxidgehalts des
Blutes und in deren Folge zu wiederholten Aufweckreaktionen (Alarmreaktion des Körpers). Die meisten Aufweckreaktionen führen aber nicht zum bewussten Aufwachen, sondern lediglich zu erhöhten Körperfunktionen, beispielsweise zu beschleunigtem
Puls und der wiederholten Ausschüttung von Stresshormonen welche als ein körpereigenes Notfall-Überlebensprogramm zu werten sind. Hierdurch wird auch die normale Schlafphasenabfolge betroffen, so dass neben den somatischen Stressoren auch die
Erholungs- und Regenerationsfunktion des Nachtschlafes teils erheblich gemindert wird. Da diese Reaktionen noch im Schlafzustand ablaufen, werden sie von den Betroffenen meist nicht bewusst wahrgenommen. Die Folge der Schlafapnoe ist eine chronische körperliche
Belastung und nicht erholsamer Schlaf, was meistens zu der typischen, ausgeprägten Tagesmüdigkeit mit ihren weiteren Risiken führt. In der Schlafmedizin zählen
die verschiedenen Formen des Schlafapnoe-Syndroms nach dem Klassifikationssystem für Schlafstörungen International Classification of Sleep Disorders (ICSD) zu den „Schlafbezogenen Atmungsstörungen“.[2]
Die Prävalenz (Häufigkeit) des Schlafapnoe-Syndroms mit einem Apnoe-Hypopnoe-Index
(AHI) von mehr als 15 beträgt nach neuen Studien 9 % bei Männern und 4 % bei Frauen.
Durch den Sog der Luft verschlossene Atmung Die Atmung ist normalerweise ein unwillkürlicher
Vorgang. Der Atemreiz wird nicht – wie vielfach angenommen – durch einen sinkenden Sauerstoffgehalt (O2) des Blutes oder der Gewebe ausgelöst, sondern ein steigender Kohlendioxidgehalt (CO2) des Blutes ist der stärkste Atemstimulus. Fällt der Partialdruck des Sauerstoffs unter eine
individuelle Grenze, wird der Mensch ohnmächtig.[3] Während eines nur vorübergehenden Atemstillstands, einer Apnoe, steigt der CO2-Partialdruck im Blut deutlich an, so dass vor dem Eintreten
einer Ohnmacht eine sog. Weckreaktion ausgelöst wird. Man unterscheidet obstruktive und zentrale Apnoen. Kommen bei einem Patienten beide Formen vor, spricht man von gemischten Apnoesyndromen. Die weitaus häufigste,
bei etwa 5–10 % der Bevölkerung vorkommende Form ist das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS). Die direkte Ursache des OSAS ist eine starke Entspannung der ringförmigen
Muskulatur um die oberen Atemwege im Schlaf. Dadurch sind der Nasen- bzw. der Mundrachen nicht mehr in der Lage, dem beim Einatmen in Lunge und Bronchien entstehenden Unterdruck genug Widerstand entgegenzusetzen. Der obere Teil der Atemwege fällt zusammen und es kommt zu einer Behinderung (Obstruktion) ebendieser. Krankhafte Atemstillstände dauern länger als zehn Sekunden, wodurch die arterielle Sauerstoffsättigung bzw. der Sauerstoffgehalt des Blutes abfällt (Hypoxämie). Dies führt erstens zu einer Mangelversorgung der Gewebe im Körper und im Gehirn und zweitens zu einem erhöhten
CO2-Spiegel im Blut. In Folge der frustranen Einatmungsbewegung (Müller-Manöver) und des ansteigenden CO2-Spiegels kommt es zu einer Weckreaktion des Körpers („micro-arousal“), aufgrund derer die Atmung dann wieder einsetzt. Meist erinnert der Patient sich nicht an diese Reaktion. Die physiologische Struktur des Schlafs wird zerstört und die Erholungsfunktion behindert. Fällt
der obere Teil der Atemwege nur teilweise zusammen, kommt es zu einer kurzzeitigen Reduzierung des Atemvolumens, den so genannten
Hypopnoen. Auch dabei sinkt letztlich der Sauerstoffgehalt im Blut, aber nicht so stark wie bei Apnoen. Die Anzahl der Apnoen und Hypopnoen pro Stunde gibt der so genannte AHI (Apnoe-Hypopnoe-Index) wieder. Beim Zusammenfallen der oberen Atemwege entstehen bei vielen Betroffenen Schnarchgeräusche, sodass viele der OSAS-Patienten starke Schnarcher sind. Bei Schnarchern mit starker Tagesmüdigkeit besteht
daher der dringende Verdacht auf OSAS. Schnarchen (Rhonchopathie) allein und auch gelegentliche, kurze Atmungsaussetzer sind nicht gesundheitsschädlich.
In Deutschland sind 1–2 % der Frauen und 2–4 % der Männer im mittleren Lebensalter vom OSAS betroffen. Häufig löst die OSAS auch zentrale Atemaussetzer aus, sodass auch die gemischte Form sehr häufig ist. Das
Upper Airway Resistance Syndrom (UARS) ist eine Unterform der schlafbezogenen Atmungsstörungen, bei
der der Muskeltonus im Bereich der oberen Atemwege noch ausreichend hoch ist, um einen Teil des Lumens der Atemwege offen zu halten. Es kommt aufgrund einer vermehrten Atemanstrengung zu vermehrten Weckreaktionen auch ohne signifikanten Sauerstoff-Abfall ebenfalls
zu Arousals.[4] Das reine zentrale
Schlafapnoe-Syndrom (ZSAS) ist selten. Durch Schäden im zentralen Nervensystem
(ZNS), besonders im Atemzentrum, wird die Atemmuskulatur
unzureichend gesteuert – das Gehirn „vergisst“ zu atmen. Die zentrale Apnoe ist meist erblich bedingt, kann aber auch aus neurologischen Schädigungen resultieren (z. B. Borreliose oder eine Instabilität der Kopfgelenke[5]). Man unterteilt die zentrale Schlafapnoe in fünf Typen: idiopathische zentrale Apnoe, Cheyne-Stokes-Atmung, reduzierte Atmung durch eine Höhenkrankheit, krankheitsbedingte und medikamentös
bedingte Apnoe. OSAS hat keine einzelne Ursache. Folgende Risikofaktoren können ein OSAS begünstigen:
Das ZSAS kann zusätzlich noch durch folgende Faktoren begünstigt werden:
Das Schlafapnoe-Syndrom tritt bei Säuglingen und Kleinkindern
nur selten auf, kann aber schon bei einmaligem Auftreten zu einer lebensbedrohlichen Situation führen. Bei Frühchen
oder Neun-Monats-Babys, die unter erschwerten Bedingungen geboren wurden, tritt eine Schlafapnoe am ehesten auf. Vermutet wird, dass das Gehirn die Signale noch nicht vollständig an die Lunge überträgt. Unterschieden werden muss bei Säuglingen zwischen dem sogenannten periodischen Atmen, ein normales Phänomen, und der Schlafapnoe. Bei dem periodischen Atmen kann die Atmung für etwa
zehn Sekunden aussetzen, um dann wieder regelmäßig fortzufahren. Bei Babys wird die Atmung mit einem Apnoemonitor aufgezeichnet.
Dabei werden alle Atemaussetzer, die zu lange dauern, aufgezeichnet und ein Alarm wird ausgelöst. Eine unregelmäßige Atmung tritt bei vielen älteren Kindern auf, häufig sind sie kurz und nicht lebensbedrohlich. Meist sind Polypen
oder vergrößerte Rachenmandeln verantwortlich für apnoeähnliche Schlafzustände bei älteren
Kindern.[8] Die Angehörigen von OSAS-Patienten berichten meist über lautes Schnarchen, unterbrochen durch Atempausen, die mit einem heftigen, seufzenden Atemzug oder einem Schnarchlaut beendet werden. Längst nicht jeder Schnarcher aber leidet an OSAS, und nicht jeder OSAS-Patient fällt
tatsächlich durch Schnarchen auf. Die beschriebene Verengung in den oberen Atemwegen kann in Einzelfällen zu einem sofortigen Verschluss führen, so dass keine Schnarchgeräusche mehr entstehen können. Weitere Symptome des obstruktiven
Schlafapnoe-Syndroms sind:[2] - Apnoe von mindestens 10-Sekunden-
bis Minutendauer
- Durchschlafstörungen
- Tagesmüdigkeit, Einschlafneigung am Tag
- Kopfschmerzen beim Erwachen
- Schwindel, vor allem nach dem Aufstehen
- Mundtrockenheit beim Erwachen
- nächtliches Schwitzen
- Nykturie
(vermehrter Harndrang während des Schlafs / nächtliches Wasserlassen)
- Sekundenschlafattacken / imperativer Schlafdrang,
teils ohne Warnsignale
- Konzentrationsstörungen bis hin zu Gedächtnisstörungen
- depressive Verstimmung
- Impotenz, erektile Dysfunktion
- unruhiger Schlaf
Als Folge eines unbehandelten OSAS treten meistens weitere chronische Gesundheitsstörungen auf, und zwar Herz-Kreislauferkrankungen
wie Bluthochdruck, Rechtsherzinsuffizienz,[9][10][11] Herzinfarkte
sowie Schlaganfälle. Ein plötzlicher Herztod kann bei unbehandeltem OSAS mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auftreten. Beschrieben sind auch Depressionen,
Hirnschäden[12][13][14] und das gehäufte Auftreten von Stress-Erkrankungen
wie Magengeschwür, Tinnitus
und Hörsturz. Diabetes
mellitus, Typ 2, wird seit Anfang 2002 immer häufiger in Zusammenhang mit dem OSAS gebracht. Es besteht ein linearer Zusammenhang zwischen dem Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) und der Insulin-Resistenz.[2] Der Blutzucker ist also umso höher, je mehr Atempausen pro Stunde Schlaf auftreten.
Nach einer eingeleiteten nCPAP-Therapie kann die nächtliche Zuckerneubildung (Gluconeogenese) deutlich vermindert werden und die morgendlichen Blutzuckerwerte können sinken. Patienten, deren OSAS durch Behandlung gebessert wurde, berichten von reduzierten Migräneanfällen. Einer aktuellen Studie zufolge ist das SAS stark mit dem Auftreten von Herzkrankheiten, die einen Herzschrittmacher erforderlich machen, assoziiert.[15]
In letzter Zeit wird zunehmend darauf hingewiesen, dass ein Schlafapnoepatient, der müde oder krankhaft unkonzentriert ist, kein Fahrzeug, insbesondere mit Personenbeförderung, führen darf. Je nach Rechtslage kann
sogar Strafbarkeit bestehen. Rechtsnormen sind hier z. B. die Fahrerlaubnisverordnung, der berufsgenossenschaftliche Untersuchungsgrundsatz G25 und die
Richtlinien des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen. Wahrscheinlich sind viele schwere
Verkehrsunfälle auf eine unbehandelte Schlafapnoe zurückzuführen. Deswegen werden Früherkennungsuntersuchungen
für Berufskraftfahrer gefordert. Zwei bis vier Wochen nach Beginn einer regelmäßigen nCPAP-Therapie ist die Fahrtauglichkeit
in der Regel vollständig wiederhergestellt. Regelmäßige Nachuntersuchungen – auch der Therapieakzeptanz – sind notwendig. Derzeit untersuchen nur wenige arbeitsmedizinische Dienste von Verkehrsunternehmen wie den Wuppertaler Stadtwerken ihre Beschäftigten auf das Vorliegen schlafbezogener Atemstörungen
wie der Schlafapnoe. Bei Notwendigkeit müssen die nCPAP-Atemtherapiegeräte auch im Auto oder LKW bei Standzeiten mittels Bordnetz betrieben werden. In Deutschland wird das Schlafapnoe-Syndrom auch von den Versorgungsämtern als Behinderung
anerkannt: - ohne die Notwendigkeit einer Beatmungstherapie (nCPAP, BiPAP) 0–10 Grad der Behinderung (GdB)
- mit der Notwendigkeit einer Beatmungstherapie (nCPAP, BiPAP) 20 GdB
- bei nicht durchführbarer Therapie/Beatmungstherapie mindestens 50 GdB
Im Rahmen einer vorläufigen Studie der American Academy of Neurology im Jahr 2019 stellten Forscher der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, fest, dass Schlafapnoe mit höheren
Anhäufungen des Tau-Proteins korreliert sein kann, eines Biomarkers im Gehirn, der mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht wird.
Die Forscher rekrutierten 288 ältere Teilnehmer ab 65 Jahren für die Studie.[16][17]
Wichtig für die Diagnose sind die oft typische Vorgeschichte
(obstruktives Schnarchen, Atemaussetzer und fehlende Erholsamkeit des Nachtschlafes) sowie Angaben zur Schlafhygiene. Die Diagnostik wird durch
ein Schlafdiagnostikscreening (sog. Nicht-Labor-Monitoring) eingeleitet, welches nach entsprechender Weiterbildung und Zulassung[18][19]
überwiegend durch Fachärzte für HNO bzw. Pneumologen durchgeführt wird. Die Untersuchung mit solchen Nicht-Labor-Monitoring-Systemen (NLMS) erfolgt durch Aufzeichnung von Atemströmung (nasal flow), Atemgeräuschen, Sauerstoffsättigung
im Blut mittels Pulsoxymeter, Herzfrequenz, Atembewegung des Brustkorbes und des Abdomens sowie Körperlage (Kardiorespiratorische Polygraphie)
während des Schlafes zu Hause beim Patienten. Es sind verschiedene kompakte Geräte hierfür am Markt verfügbar. Eine Schlafapnoe ist wahrscheinlich, wenn neben der klinischen Symptomatik in der Polygraphie bei einer Aufzeichnungszeit von mindestens sechs Stunden im Durchschnitt pro Stunde mehr als fünf Apnoe-/Hypopnoe-Phasen über 10 Sekunden Dauer
(pathologischer Apnoe-/Hypopnoe-Index AHI: >5) mit dem charakteristischen episodischen Abfall der Sauerstoffsättigung des Blutes nachgewiesen werden. Als leichte/milde Schlafapnoe wird ein AHI von 6 bis 14 gewertet, als mittlere Schlafapnoe
ein AHI von 15 bis 30 und als schwere Schlafapnoe ein AHI von über 30. In Fällen eines auffälligen Screenings wird der Patient in ein Schlaflabor
eingewiesen. Dort wird mit einer Polysomnographie die Notwendigkeit einer Behandlung weiter abgeklärt bzw. eine Behandlung eingeleitet
und hinsichtlich der Effektivität kontrolliert. Bei der Polysomnographie werden zusätzlich zu den Parametern der Polygraphie ein Elektroenzephalogramm
(EEG), eine Elektrookulographie (EOG), eine Elektromyographie (EMG) im Bereich der Kinn- und Beinmuskulatur sowie ein EKG aufgezeichnet und
der Blutdruckverlauf, in einigen Fällen auch intrathorakale Druckschwankungen, fortlaufend registriert. Während der nächtlichen Untersuchung wird das Schlafverhalten mit einer Videoaufzeichnung dokumentiert. In der Polysomnographie zeigt sich
der Einfluss der verminderten Sauerstoffversorgung, die sich im EEG als „Schlaffragmentierung“ manifestiert. Bedingt durch den Sauerstoffmangel, der sich infolge der Atempausen wiederholt, kommt es zu ständigen Weckreaktionen (Arousals),
so dass durch die Fraktionierung des Schlafes (im Vergleich zur normalen „Schlafarchitektur“) eine pathologische Reduktion der Tiefschlaf-
und Traumschlafphasen resultiert. Bei der vollständigen Polysomnographie kann zusätzlich zum AHI auch der RDI bestimmt werden. Der RDI, Respiratory Disturbance Index, bezieht die respiratorischen
Ereignisse auf die im EEG belegte Schlafzeit und nicht nur auf die "Bettzeit".
Als Behandlung werden je nach Schwere und Ursache verschiedene Methoden empfohlen, wie Gewichtsreduktion, Verzicht auf Alkohol und Nikotin sowie eventuell eine operative Behandlung von Atemwegsbehinderungen. Auch eine Stärkung der Muskulatur des Mundes und des Halses kann eine Verbesserung bewirken;
es gibt positive Berichte über den Effekt von regelmäßigem Musizieren mit Blasinstrumenten, insbesondere mit einem Didgeridoo.[20] Neuere Studien
zeigen, dass auch Doppelrohrblattinstrumente die Symptome lindern, während andere Musikinstrumente wirkungslos
bleiben.[21][22][23]
Wirkprinzip der CPAP-Therapie Eine Therapie des OSAS ist die CPAP-Therapie mittels CPAP-Atemtherapiegeräten (Continuous Positive Airway Pressure). Diese Geräte haben ein Gebläse, welches über einen
Schlauch mit einer nCPAP-Maske verbunden ist, die mittels Kopfbändern um die Nase (oder um Mund und Nase) auf das Gesicht gedrückt wird. Mit Hilfe dieser Masken wird während der Schlafzeit in den Atemwegen ein leichter Überdruck von 5 bis 20 Millibar erzeugt. Dieser verhindert das Zusammenfallen der Atemwege und verhindert damit Apnoen und Hypopnoen. Dabei wird gleichzeitig
das Schnarchen verhindert. Man spricht bei dieser Therapie auch von der „pneumatischen Schienung“ der oberen Atemwege. Es gibt verschiedene Arten solcher Masken. Man unterscheidet zwischen „Direkt-Nasal-“, „Oral-“, „Nasal-“
und „Vollgesichts-Masken“. Nach einer Eingewöhnungsphase berichten die meisten Anwender über eine deutlich bessere Schlafqualität und Rückgang bzw. Verschwinden der OSAS-Symptome. Neben der Linderung der OSAS-Symptomatik kann die CPAP-Therapie auch dabei helfen, eine medikamentenresistente Hypertonie zu lindern,[24] welche oft im Zusammenhang mit dem OSAS auftritt. Erscheint die CPAP-Therapie dem Patienten zu anstrengend, etwa wegen des Gegendrucks beim Ausatmen, weicht man meist auf die BIPAP-Beatmung aus. In der Regel muss die Therapie lebenslang angewendet werden. Das Absetzen der Therapie kann zur Folge haben, dass die Symptome wieder auftreten.
Der Schlaf wird erholsam, wenn man die Therapie regelmäßig und konstant durchführt. Manchmal ist bei Austrocknen der Nasenschleimhaut die Verordnung eines Warmbefeuchters für die Atemluft erforderlich. Die CPAP-Geräte werden im Schlaflabor
auf den individuell notwendigen Beatmungsdruck eingestellt. Der Druck kann in Schlaflaboren überprüft und angepasst werden, da dieser sich im Laufe der Therapie verändern kann. Ein anderer Druck kann zum Beispiel erforderlich sein, wenn der
Patient Gewicht verloren oder zugenommen hat. Auch ambulante Einstellungen und Überprüfungen sind möglich. Die Krankenkassen verlangen in letzter Zeit häufig einen Nutzungsnachweis von mehr als vier Stunden pro Nacht, wenn sie die Behandlung
weiter bezahlen sollen. Hierzu zeichnet das Atemtherapiegerät auf einer Speicherkarte die Nutzungsdauer auf. Bei unter CPAP-Beatmung weiter bestehender Tagesschläfrigkeit ist das vigilanzsteigernde Medikament Modafinil einsetzbar, welches mittlerweile in Deutschland aber nicht mehr für
diese Indikation zugelassen ist (nur noch bei Narkolepsie), da es sehr häufig starke Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Durchfall verursacht. Der Einsatz von Theophyllin, welches zentral den Atemantrieb steigert, ist u. a. wegen kardialer Nebenwirkungen obsolet.
Unterkieferprotrusionsschiene Bei Patienten mit einem leichten bis mittelgradigen obstruktiven
Schlafapnoe-Syndrom hat die intra-orale Unterkieferprotrusionsschiene ihre Wirksamkeit nachweisen können. Dabei handelt es sich
um individuell nach Abformung der Zähne gefertigte, labortechnisch hergestellte, einstellbare Schienensysteme. Durch das Tragen wird die Einengung des Rachenraums verringert, die Atemwege werden im Schlaf mechanisch offen gehalten und der Atemwegswiderstand
nimmt ab.[25] Das Verfahren kommt auch statt CPAP bei Intoleranz
oder mangelnder Therapiecompliance zur Anwendung.[4] Metaanalysen haben gezeigt, dass Protrusionsschienen den Blutdruck
ähnlich stark senken wie die CPAP-Beatmung und ebenfalls die Tagesmüdigkeit effektiv therapieren.[26][27] CPAP ist die am weitesten verbreitete Therapie des Schlafapnoe-Syndroms und der international anerkannte „Goldstandard“, sie ist allerdings eine nicht für alle Patienten durchführbare
Dauertherapie.[28] Insbesondere bei Unverträglichkeiten konservativer Therapien
gibt es für die obstruktive Schlafapnoe deshalb operative Behandlungsmöglichkeiten. Ein sinnvolles Ziel von chirurgischen Eingriffen kann die Verbesserung der Nasenluftpassage zur Verbesserung der CPAP-Compliance sein, ein anderer Ansatzpunkt sind
ungewöhnlich große Gaumentonsillen und Adenoiden.[29] Chirurgische Alternativen mit Eingriffen im Halsbereich
haben sich nicht durchgesetzt.
Die Uvulopalatopharyngoplastik (UPPP) ist eine Operation zur Reduktion und Straffung des weichen Gaumens. Bei
dieser Operation wird Fett- und Bindegewebe
im Rachenbereich entfernt, das die Atemwege
im Schlaf verschließen könnte. Dazu gehören Teile der weichen Gaumenmuskulatur, der Uvula (Zäpfchen) und des Zungengrundes.[30] Bei der bimaxillären
Operation, (englisch Maxillomandibular Advancement), werden die physischen Ursachen der obstruktiven
Schlafapnoe, die zu kleinen oder zu weit zurückliegenden Kiefer und der damit verbundene Zungengrund, welcher die oberen Atemwege verengt, behandelt.[31] Bei diesem Eingriff werden durch das Vorverlagern des Ober- und Unterkiefers die oberen Atemwege dauerhaft erweitert. Ziel der bimaxillären Operation ist eine Erhöhung der Sauerstoffkonzentration
im arteriellen Blut[32]
sowie eine Verbesserung der Schlafqualität.[33] Bimaxilläre Operationen
werden von spezialisierten Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen und Oralchirurgen durchgeführt. Generell sind bei einem solchen Eingriff die Risiken wie bei jedem operativen Eingriff von der Erfahrung des Operateurs mit diesem Eingriff abhängig,
ebenso sind wie bei jedem operativen Eingriff Risiken wie Wundheilungsstörungen, Infektion, Gefäß- und vor allem Nervenverletzungen (insbesondere des im Unterkiefer verlaufenden Nervus mandibularis) und Blutungen zu beachten, über die jeder Patient individuell aufgeklärt werden muss. Speziell zu erwähnen ist das meist reversible Taubheitsgefühl im Bereich der Unterlippe und das
Vorkommen von Störungen der Zahnstellung. Unmittelbar postoperativ kann es zu einer ausgedehnten Schwellung kommen, die nach circa ein bis zwei Wochen verschwindet. Operationsbedingte Schmerzen sind gering. Nach dem Eingriff sollte der Patient für
circa 3–4 Wochen nicht kauen und nur flüssige und pürierte Kost zu sich nehmen. Mit der Vorverlagerung der Kiefer geht eine Veränderung der Gesichtsform einher. Daher ist im Vorfeld eine umfangreiche Aufklärung und Beratung
durch einen erfahrenen Spezialisten empfehlenswert, um zusätzlich zum medizinisch erfolgreichen auch ein ästhetisch ansprechendes Ergebnis zu erzielen. Auch haben gerade übergewichtige Patienten, Patienten mit Herzerkrankungen oder Diabetes
ein erhöhtes Operationsrisiko, was viele Patienten mit Schlafapnoe betrifft. Daher ist nach den in Deutschland gültigen Leitlinien immer erst einmal eine ungefährliche Therapie mit Luft (CPAP) mit ausreichendem Zeitfenster zur Gewöhnung
und durch Unterstützung erfahrener Schlafmediziner zu versuchen, was dann auch in den meisten Fällen gelingt. Eine Operation gemäß dem Stanford-Protokoll
ist wesentlich umfangreicher und besteht aus zwei getrennten Operationen. Bei der ersten Operation handelt es sich um eine Operation des Weichgewebes, das eine Tonsillektomie und die Uvulopalatopharyngoplastik umfasst. Ist danach noch eine restliche Schlafapnoe
vorhanden, erfolgt die zweite Operation, die aus einer maxillomandibulären Dysgnathieoperation besteht.[34]
Ein weiterer Ansatzpunkt stellt die Stimulationstherapie dar. Durch Stimulation des Nervus hypoglossus können über Tonussteigerung der Zungenmuskulatur nächtliche Apnoen verhindert werden.[35] Die Stimulation kann dabei
atmungssynchron die gesamte rechtsseitige Zungenmuskulatur bei der Einatmung oder kontinuierlich alternierend unterschiedliche Anteile der rechtsseitigen Zungenmuskulatur während Ein- und Ausatmung[36] erfolgen. Nachdem beide Systeme in Europa schon seit 2013 zur Anwendung kommen können, wird die atmungssynchrone Stimulation seit der Freigabe durch die FDA[37] im April 2014 auch in
den USA angewendet. Operative Eingriffe werden von entsprechend spezialisierten Kieferchirurgen und/oder HNO-Ärzten durchgeführt. In lebensbedrohlichen Situationen oder wenn alle anderen Behandlungsmethoden versagen, wird auch eine
Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) durchgeführt. Dieser drastische Eingriff wirkt immer, da die Obstruktion der oberen Atemwege umgangen
wird. In seltenen Fällen wird dem Patienten ein permanenter Tubus in die Luftröhre eingesetzt, durch den im Schlaf geatmet werden kann. Zahlreiche Firmen bieten auch „Anti-Schnarch-Masken“, Nasenklammern, elektrische Warngeräte, Meditationskurse, Magnetfeldmatten, ätherische Öle usw. zur Eigenbehandlung an. Diese Produkte und Methoden haben bisher keine nachgewiesene Wirksamkeit, stören in manchen Fällen
den Nachtschlaf sogar zusätzlich. Außerdem verhindern oder verzögern sie den Beginn einer wirksamen Behandlung der Schlafapnoe. Eine weitere Alternative ist die transkutane Elektrostimulation der suprahyoidalen Muskulatur, welche zu
einer Vergrößerung des Lumens im Pharynx führt. Das Zungenmuskel-Training (ZMT®) muss während zweier Monate zweimal täglich durchgeführt werden.[38] Diese Methode bietet aber nur begrenzte Erfolge,[39] zudem auch nur bei mildem Schlafapnoesyndrom und kann daher nicht generell als Alternative zur CPAP-Therapie betrachtet werden. Das Schlafapnoe-Syndrom ist in Gesundheitsnummer 44 (Lunge und Mediastinum) der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 46/1 aufgeführt: - Ein nachgewiesenes Schlafapnoe-Syndrom mit Einschränkung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit mit der Notwendigkeit der apparativen
Atmungstherapie ist danach als Gradation VI eingestuft, was zur Ausmusterung führt.
- Ein nachgewiesenes Schlafapnoe-Syndrom ohne wesentliche Einschränkung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit führt
zur Gradation IV, dies führt seit dem 1. Oktober 2004 nach einer Änderung der Dienstvorschrift[40] ebenfalls zu einem T5 (Ausmusterung). Vorher führte dies zu einem T3 (verwendungsfähig mit Einschränkung in der Grundausbildung und für bestimmte Tätigkeiten).
Siehe Anlage 3/46[41] der Zentralen Dienstvorschrift 46/1 des Bundesministeriums der Verteidigung. - Peter Spork: Das
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Verlag des Psychotherapeutischen Instituts Bergerhausen, Duisburg 2001, ISBN 3-928524-43-7.
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- ↑ Anlage 3/45 der Zentralen Dienstvorschrift 46/1
des Bundesministeriums der Verteidigung (PDF; 58 kB)
Epidermolysis bullosa
Epidermolysis bullosa Zur Navigation springenZur Suche springen Epidermolysis bullosa (EB)
ist eine genetisch bedingte Hautkrankheit, die je nach Subtyp autosomal-dominant oder -rezessiv vererbt
wird. Betroffene werden als Schmetterlingskinder bezeichnet, weil ihre Haut so verletzlich wie die Flügel eines Schmetterlings sei.[1] Ursache
ist eine angeborene Mutation in bestimmten Genen, deren Genprodukte (Proteine) u. a. für den
intakten zellulären Aufbau der Haut notwendig sind.[2] Die mechanische Verbindung zwischen den unterschiedlichen Hautschichten
ist unzureichend ausgebildet, dadurch können je nach Subtyp Blasen und Wunden mit möglicher Narbenbildung entstehen (am und im ganzen Körper, z. B. auch Mund (Mikrostomie)
und Speiseröhre). Die Krankheit wird umgangssprachlich auch als Schmetterlingshaut bezeichnet. Irakischer Junge mit Epidermolysis bullosa
Seit 1999 wird die EB nach Expertenkonsens in drei Hauptformen unterteilt, die in der Tabelle aufgeführt sind.[3] Die früher
übliche Einteilung auf Grund molekularer Abnormitäten wurde wegen der ausgeprägten genetischen Vielfalt nicht mehr für sinnvoll gehalten.
Hauptform | häufigste Subtypen | mutierte Gene | Gen-kodierte Proteine | EB simplex (EBS) | EBS Weber-Cockayne EBS Koebner EBS Dowling Meara EBS mit Muskeldystrophie |
KRT 5 und KRT 14 KRT 5 und KRT 14 KRT 5 und KRT 14 PLEC 1 | Keratin 5 und 14 Keratin 5 und 14 Keratin 5 und 14 Plectin | EB junctionalis (EBJ) | EBJ Herlitz EBJ non-Herlitz EBJ
mit Pylorusatresie | LAMB3, LAMC2, LAMA3 COL17A1, LAMB3, LAMC2, LAMA3 ITGA6, ITGB4 | Laminin 5 Kollagen XVII, Laminin 5 α6 β4 Integrin | EB dystrophica (EBD) | EBD
Hallopeau-Siemens EBD non-Hallopeau-Siemens Dominante EBD | COL7A1 COL7A1 COL7A1 | Kollagen VII Kollagen VII Kollagen VII | Die Epidermolysis Bullosa ist nicht ansteckend, beeinträchtigt nicht die Intelligenz, führt aber zu mehr oder weniger
schweren Behinderungen und kann zu frühzeitigem Tod führen. Mögliche Beeinträchtigungen und Folgen sind Unterernährung, Minderwuchs, Finger- und Zehenverwachsungen, Karies, Haarverlust, Bewegungsbehinderung, Hautkrebs und Schmerzen.
Es besteht eine Assoziation mit der Aplasia cutis congenita. Die Behandlung beinhaltet die
regelmäßige (mehrmals tägliche) Wundversorgung. Derzeit gibt es keine heilende Therapie. Die Gentherapie ist derzeit die einzige Hoffnung auf eine
echte Heilung. Hier gab es im Jahr 2013 den erfolgversprechenden Bericht eines Patienten, der durch Transplantation genetisch veränderter Hautzellen zumindest an den transplantierten Hautstellen symptomfrei blieb.[4] Am 8. November 2017 wurde in vielen Medien über die Heilung eines achtjährigen Jungen berichtet. Die
Heilung erfolgte durch aus genetisch veränderten Stammzellen gewonnenen Oberhautstücken. An 60 % der Haut war bei Einlieferung in die Bochumer Kinderklinik keine oberste Hautschicht mehr vorhanden. An einer der Stellen ohne Blasen wurden im September
2015 4 Quadratzentimeter Haut entnommen und daraus epidermische (also der Oberhaut) Stammzellen gewonnen. In diesen Stammzellen wurde der Gendefekt beseitigt, indem eine gesunde Variante des LAMB3-Gens mit einem Virus ins Erbgut eingebracht wurde. Folgend
wurden aus diesen Zellen Oberhautstücke im Labor gezüchtet, welche dem Jungen im Oktober und November 2015 von dem Münsteraner Plastischen Chirurgen Prof. Dr. Tobias Hirsch am Großteil seines Körpers transplantiert wurden. Auf Teile
der verbliebenen unbehandelten Körperfläche wurde im Januar 2016 noch Oberhaut transplantiert. Rund 80 % seiner Oberhaut wurden ersetzt. Im Februar 2016 wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, im März besuchte er wieder die Schule. Der
Junge hat nach dem im November 2017 erschienenen Bericht der Forscher aktuell kein Jucken mehr, keine Blasen und benötigt keine Salbe oder Medikamente.[5] Eine
Gentherapie für diese Krankheit wurde schon 2006 erfolgreich versucht, jedoch im wesentlich kleineren Rahmen, bei einem Patienten, der Probleme an einer Stelle am Bein hatte.[6][7][8]
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- ↑ DEBRA Deutschland, Interessengemeinschaft Epidermolysis Bullosa e. V.
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Bruckner-Tuderman: Epidermolysis bullosa: eine interdisziplinäre Herausforderung. In: Deutsches Ärzteblatt. (2001) 98, S. A1559–A1563.
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Alberto Giannetti, Giorgio De Santis, Alessandra Recchia, Graziella Pellegrini, Michele
De Luca: Long-Term Stability and Safety of Transgenic Cultured Epidermal Stem Cells in Gene Therapy of Junctional Epidermolysis Bullosa. In: Stem Cell Reports. Band 2, Nr. 1, S. 1–8, 14. Januar 2014, doi:10.1016/j.stemcr.2013.11.001.
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am 9. November 2017]).
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am 9. November 2017]).
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2017, doi:10.1038/nature24487
Audismus
Audismus Als Audismus (von engl. audism)
bezeichnet man eine Geisteshaltung, die gegen taube und schwerhörige Personen gerichtet ist, woraus sich verschiedene Formen von systematischen Diskriminierungen derselben
ableiten lassen.
Die Geisteshaltung des ‚Audismus‘ beinhaltet die hohe Wertschätzung des Gehörs und Sprechens und bewertet zudem taube bzw. gehörlose oder
hochgradig hörgeschädigte Menschen als bedauernswerte Menschen mit dem Defekt des Hörens und Sprechens, der medizinisch und elektrotechnisch durch Hörgerät oder Cochlea-Implantat behoben werden sollte. Auch werden dadurch die von tauben Menschen geschaffenen Gebärdensprachen,
die damit verbundene Gehörlosenkultur und ihre Lebensweise abgewertet. Taube Menschen werden generell durch ihre Gehörlosigkeit stigmatisiert;
sie fühlen sich diskriminiert und unterdrückt. So schenken Hörende den Bedürfnissen Betroffener nicht die nötige Beachtung und lassen zu, dass taube und schwerhörige Personen benachteiligt werden. Aus Sicht Betroffener
ist es beispielsweise die fehlende Nutzung der Gebärdensprache in der allgemeinen Gesellschaft, die taube Menschen behindert macht, nicht deren Hörunfähigkeit. Die Gesellschaft im Gegensatz betrachtet die Hörunfähigkeit als das Problem
überhaupt, das es zu berichtigen gilt. Nach ihr heißt es, sie leiden an Taubheit; die Gesellschaft müsse sich nicht in Verhalten und Betrachtungsweise gegenüber ihnen ändern. Vielmehr sollten taube und hochgradig hörgeschädigte
Menschen sich an die Konventionen und Normen der Hörenden anzupassen lernen. Das geschieht seit dem Beginn der Surdopädagogik.
So wird der taube Mensch beispielsweise gezwungen, nur die Lautsprache zu lernen, was viel Unterrichtszeit für die deutliche Artikulation der Lautsprache zum Nachteil der Allgemeinbildung erfordert. Die Gebärdensprache wird unterdrückt. Das
geht in der Geschichte unter dem Terminus „(reiner) Oralismus“ einher. Als dessen Endeffekt werden viele taube Menschen zu Halbgebildeten und funktionellen Analphabeten
in der Sprache der Majorität und deswegen wird ihr Leben in vielen Bereichen fremdbestimmt. Audismus kann unangenehm ausarten, wie der obenerwähnte Oralismus, Eugenik,
Diskriminierungen in Rede und Tat im Beruf und allgemeinem Leben, Missachtung von den Institutionen (Staat, Presse, Fernsehen, Politik, Medizin, Technik, Sprache unter anderen). Er kann auch bei manchen tauben und schwerhörigen Personen zum Vorschein
kommen, wenn sie die Mentalität ihres hörenden Umfelds internalisieren. Überlegungen, wie der Audismus in der Gesellschaft reduziert werden kann, werden in der Diskussion um Audismus gestellt. Dies kann als „Anti-Audismus“ begriffen werden. Der Begriff wurde 1975 in der nicht
veröffentlichten, englischsprachigen Doktorarbeit von Tom Humphries Audism: The Creation of a Word eingeführt und zwar definiert als „Sich-besser-Dünken“-Verhalten gegenüber tauben Menschen von Menschen, die
besser hören und sprechen können als diese. Erst seit 1992 wird der Begriff auch von anderen Autoren aufgegriffen und untersucht. Er wird auch danach extensiv in Foren und Blogs in vielen Ländern diskutiert und in einigen Filmen dargestellt.
Der erste Autor nach Tom Humphries, Harlan L. Lane, erweitert den Begriff auf Diskriminierungen gegen taube und schwerhörige Menschen und Herabsetzung
der Gehörlosenkultur durch Hörende. Nach ihm seien taube Personen keine Menschen mit Defekt, sondern bildeten eine eigenartige ethnische Gruppe.
Sie hätten eine Kultur sui generis, eigene Riten und kulturelle Praktiken und würden untereinander heiraten. Lane lehnt Cochlea-Implantation aus diesem Grund ab.[1][2][3] - Richard Clark Eckert: Deafnicity.
A Study of Strategic and Adaptive Responses to Audism by Members of the Deaf American Community of Culture. Dissertation University of Michigan 2005 (englisch).
- Helmut Vogel: Neue Wege in der Gehörlosenkultur. Deafhood –
Audismus – Deaf Studies. In: Das Zeichen. Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser. Hrsg.: Institut für Deutsche Gebärdensprache, Gesellschaft für Gebärdensprache e. V.; 21. Jahrgang,
Heft 77, 2007, ISSN 0932-4747, S. 492–496.
- Asha Rajashekhar: Die Taubengemeinschaft zu Zeiten des Postkolonialismus (und von „Hearing
Privileges“?). Die hörende Dominanzgruppe und die gehörlose Minderheitengruppe im Blickfeld der Diskussionen zu ‚Audismus‘ und ‚Linguizismus‘. In: Das Zeichen. Zeitschrift für Sprache und Kultur
Gehörloser. Hrsg.: Institut für Deutsche Gebärdensprache, Gesellschaft für Gebärdensprache e. V.; 25. Jahrgang, Heft 88, 2011, ISSN 0932-4747,
S. 290–299.
- ↑ Harlan L. Lane: The Mask of Benevolence: Disabling the Deaf Community. Neuauflage 2000.
Dawn Sign Press (dt.: Die Maske der Barmherzigkeit. Unterdrückung von Sprache und Kultur der Gehörlosengemeinschaft. Hamburg: Signum 1994)
- ↑ H.-Dirksen L. Bauman: Audism. Exploring the Metaphysics of Oppression. In: Journal of Deaf Studies and Deaf Education. Bd. 9, Nr. 2, 2004, S. 239–246, PMID 15304445
- ↑ Paddy Ladd: Understanding
Deaf Culture, in Search of Deafhood. Clevedon: Multilingual Matters Ltd., 2003
Mutpol
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